Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst
sagte: »Herein«, und Avraham Avraham stellte enttäuscht fest, dass Schärfstein ihm zuvorgekommen war. Die beiden waren mitten in einem Gespräch, und Ilana lachte laut.
»Komm rein, Avi. Eyal informiert mich gerade über die Ergebnisse der gestrigen Suchaktion.«
»Du meinst die Nicht-Ergebnisse«, präzisierte Schärfstein.
Ilana lachte erneut und fügte hinzu: »Eine Lederjacke ist gar nicht so übel. Die kann man aufarbeiten lassen. Ich hab gelesen, Leder ist wieder in Mode.«
»Und vergiss die Cordhose nicht.« Auch Schärfstein lachte.
Avraham fühlte sich angegriffen. Bereits am gestrigen Abend hatte er ihre Entscheidung nicht verstanden, Schärfstein zu den Ermittlungen hinzuzuziehen. Warum meinte sie, dass er einen weiteren Polizeioffizier in seinem Team brauchte?
»Er ist gerade frei, und du weißt, dass er brillant ist, wenn auch manchmal unerträglich. Du bist der leitende Ermittler, du stehst dem Team vor, setz ihn ein, wie du möchtest, und er wird dir helfen«, hatte Ilana versucht, ihre Entscheidung zu rechtfertigen.
Avraham Avraham fragte: »Wann kommt Eliyahu?«
»Er ist unterwegs«, erwiderte Ilana, »in drei Minuten ist er hier. Eyal, du weißt, dass Avi am Freitag Geburtstag hatte?«
Sie wollte ihm eine Freude machen, aber er setzte sich nur verkrampft auf einen Stuhl.
»Herzlichen Glückwunsch. Wie alt?«, fragte Schärfstein.
Ilana, die das Unbehagen spürte, das in Avraham erwacht war, antwortete an seiner Stelle: »Noch keine vierzig. Ein Jüngelchen. Avi, du hast noch zwei Jahre, ein junger, vielversprechender Ermittler zu sein. Der Titel verfällt erst mit vierzig.«
»Dann hab ich noch fast zehn Jahre«, sagte Schärfstein.
In dem Moment kam Eliyahu Maalul ins Zimmer. Aus irgendeinem Grund trug er eine graue Windjacke und gab seinen Standarderöffnungssatz zum Besten: »Wie ich sehe, hebe ich hier gerade den Altersdurchschnitt und senke den Schönheitsfaktor.« Er legte Avraham Avraham die Hand auf die Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: »Gut, dich zu sehen.« Dann ließ er sich auf den freien Stuhl neben ihm sinken.
»Okay, lasst uns anfangen, weil ich ein bisschen in Zeitnot bin. Avi, du wirst uns ins Bild setzen, und bemüh dich, so detailliert wie möglich zu sein.«
Avraham Avraham legte die dünne Ermittlungsakte auf den Tisch und zog drei Blätter hervor, die er an diesem Morgen auf dem Revier ausgedruckt hatte. »Also: Ofer Sharabi, wohnhaft in Cholon, geboren im Dezember 1994, ohne Vorstrafen, wird seit Mittwochmorgen vermisst. Er ist wie üblich am Mittwoch zur Schule aufgebrochen, kurz vor acht. Dort ist er aber nicht angekommen. Hat weder einen Brief noch irgendeinen anderen Hinweis darauf hinterlassen, dass er von zu Hause ausgerissen sein könnte. Sein Mobiltelefon hat er in der Wohnung gelassen. Anzeige bei der Polizei wurde am Donnerstagmorgen durch seine Mutter erstattet, Hannah Sharabi …«
Und schon unterbrach ihn Schärfstein. Er hob den Finger und begann sogleich zu reden, ein vorlauter Schüler, der kein Zeichen vom Lehrer braucht, um sich in dessen Vortrag einzumischen. »Da war er seit mehr als vierundzwanzig Stunden verschwunden. Ein bisschen lang, oder?«
»Nicht unbedingt, denn die Mutter hat erst am Mittwochnachmittag, als er nicht nach Hause gekommen ist, herausgefunden, dass er gar nicht in der Schule war. Genau genommen ist sie am frühen Mittwochabend auf dem Revier des Ayalon-Distrikts vorstellig geworden, war aber nicht eindeutig hinsichtlich der Abgabe einer Vermisstenanzeige.«
Ilana hatte noch kein Wort gesagt. Aber Schärfstein ließ nicht locker: »Was soll das heißen: nicht eindeutig? Bei wem war sie denn?«
»Ich hatte Bereitschaftsdienst«, erwiderte Avraham Avraham. »Sie ist gegen Abend zu uns aufs Revier gekommen und war unschlüssig, ob sie Anzeige erstatten sollte …«
Jetzt unterbrach Ilana ihn: »Lasst uns weitermachen, die Einzelheiten sind im Augenblick unwichtig. Sollte es doch von Bedeutung sein, kommen wir später noch einmal darauf zu sprechen. Also weiter.«
»Wie gesagt, die Ermittlungen wurden am Donnerstag aufgenommen. Wir haben in den Medien und auf unseren Internetseiten Vermisstenanzeigen geschaltet und Befragungen von Familienangehörigen, Freunden und Nachbarn durchgeführt. Eine erste Inspektion des Zimmers des Vermissten ist erfolgt, einschließlich einer Durchsuchung seines Computers und der Daten auf seinem Mobiltelefon. Außerdem wurden routinemäßig die mit der Koordination in der Leitstelle
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