Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst
Freiwillige wie er. Zwei Beamte führten eine Art Teller an einem langen schwarzen Griff über den Sand, es sah wie ein Staubsauger oder ein Metalldetektor aus. Alles wirkte amateurhaft und schlecht organisiert. Seev erinnerte sich an einen französischen Film, den er vor Jahren in der Cinematheque gesehen hatte. Hunderte von Polizisten fahndeten in einem undurchdringlichen Waldstück nach einem entlaufenen Verbrecher. Sie hatten sich zu einer langen Kette formiert, hielten sich an den Händen und arbeiteten sich vor wie ein Mann, damit ihnen nicht ein Fleckchen des Waldes entging.
Die edel gekleidete Frau, die bis eben mit Avraham gesprochen hatte, stieg in einen Wagen, der am Straßenrand abgestellt war. Das war die Gelegenheit.
Seev berührte mit dem Finger Avrahams Schulter von hinten.
»Entschuldigung, Inspektor Avraham, wäre es möglich, kurz mit Ihnen zu sprechen?«
Er atmete schwer, wie nach einem Dauerlauf.
Avraham drehte sich zu ihm um. Er war überrascht von der sachten Berührung und von dem Gesicht, das er vor sich sah, als er herumfuhr.
»Erinnern Sie sich an mich?«, fragte Seev. Aber noch ehe Avraham Zeit fand zu antworten, fügte er gleich hinzu: »Ich bin der Nachbar aus Ofers Haus. Sie haben am Donnerstag mit meiner Frau gesprochen und gesagt, Sie würden noch einmal wiederkommen. Zweite Etage. Ich bin Ofers Englischnachhilfelehrer.«
»Jaja, ich weiß«, erwiderte Avraham. »Ich habe es nicht geschafft, noch einmal zu Ihnen zu kommen, weil wir an dem Nachmittag zu viel zu tun hatten. Kann sein, dass wir Sie bitten werden, zu uns aufs Revier zu kommen, um die Befragung fortzusetzen, oder dass jemand einen Termin mit Ihnen vereinbart und kurz bei Ihnen zu Hause vorbeischaut.«
Seev war nicht sicher, ob der Ermittler sich tatsächlich an ihn erinnerte. Wie schon am Donnerstag wirkte Avraham angespannt und nervös. Und jetzt schien er auch noch sehr müde zu sein.
»Ich hab mich erst mal dem Suchtrupp angeschlossen. Bin seit dem Morgen hier. Wir haben bis jetzt die Baustellen hier in der Gegend abgesucht. Ich nehme an, auf Ihre Anweisung hin. Sie sind doch für die Ermittlungen verantwortlich, oder?«
»Und haben Sie etwas gefunden?«
Avraham hatte die Frage ignoriert. Sollte er etwa gar nicht verantwortlich sein, oder durfte er diese Information nicht preisgeben?
»Nein«, antwortete Seev. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir überhaupt genau wissen, wonach wir suchen sollen.«
»Nach allem, was eine Verbindung zu Ofer haben könnte.«
»Ich verstehe, aber wie können wir von vornherein wissen, was eine Verbindung zu Ofer hat und was nicht?«
Es schien, als wusste Avraham selbst nicht, was er antworten oder wie er sich dem Menschen gegenüber verhalten sollte, der ihn an der Schulter berührt hatte. Unvermittelt ging er los, und Seev folgte ihm. Seite an Seite stapften sie durch die Dünen wie zwei alte Bekannte oder wie ein Befehlshaber und sein Adjutant. Schulter an Schulter. Genau, wie Seev es sich erhofft hatte, als ihm die Eingebung gekommen war anzurufen. Aber Avraham hatte nicht vor, ihn etwas zu fragen, und wenn Seev nicht den Mut aufbringen würde, von sich aus zu reden, würde ihre Unterhaltung enden, bevor sie richtig begonnen hatte. Jeden Moment konnte einer der Polizisten oder der freiwilligen Helfer auftauchen und sie unterbrechen. Und danach würde es unmöglich sein, das Gespräch mit derselben Natürlichkeit wiederaufzunehmen.
»Haben Sie schon einen Durchbruch bei den Ermittlungen erzielt?«, fragte Seev, und Avraham schien abermals überrascht, als hätte er gar nicht bemerkt, dass Seev noch immer neben ihm ging.
»Nein, bisher noch nicht.«
»Warum wird die Suche dann ausgerechnet hier durchgeführt? Und, wie gesagt, was genau suchen wir?«
»Nichts Besonderes.«
Es lag nicht wenig Ungeduld, ja sogar Schroffheit in seinem Tonfall und der Tatsache, dass er einfach weiterging. Aber Seev fragte weiter: »Ich möchte bloß wissen, auf welcher Grundlage ein Ermittlungsleiter entscheidet, wo Suchmaßnahmen durchgeführt werden sollen. In der Regel wird ein bestimmtes Gebiet doch nur durchkämmt, wenn konkrete Informationen vorliegen, oder?«
Avraham blieb erneut stehen. »Im Augenblick haben wir noch nichts Konkretes«, sagte er. »Es sind allgemeine Hinweise eingegangen, dass der Junge sich hier in der Gegend herumtreibt.«
Wie schon am Donnerstag gelang es Avraham, Seev zu überraschen. Was sollte das heißen: sich herumtreibt? Hatte die Polizistin, mit der
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