AVOCADO ZUM FRÜHSTÜCK
Morgen wollte das Auto mal wieder nicht starten und ich war so geparkt, dass ich es niemals allein hätte anschieben können. Nicht, dass ich es nicht versucht habe. Glücklicherweise war es die Batterie, nicht der Motor – es kam gerade ein junger Mann vorbei, der sich mit Handzeichen leicht überreden ließ, für einige Meticais schieben zu helfen.
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Als ich zum ersten Mal aus dem alleinigen Urlaub in Jeffries Baai und Kapstadt nach Hause kam - dort war es Spätsommer und in Deutschland gerade fast Frühling – war ich braun gebrannt und entspannt vom vielem Baden im Meer und Micha war heilfroh, mich wieder zu sehen. Etwas neidisch war er sicher auch, doch es ging nicht anders und ich musste meine Eltern besuchen und gleichzeitig dringend benötigte Erholung suchen. In Kapstadt logierte ich fast einer Woche lang in einem Gästehaus, dessen deutschen Besitzer mich mit Rat und Tat unterstütze und mich sogar mit auf Fahrradtour hinterm Tafelberg nahm. Ich hatte zuvor das Flair der einmaligen Stadt in vollen Zügen genossen: ging mehrmals lecker essen, besuchte einen Gay Club wo ich bis in den frühen Morgenstunden tanzte und flirtete, erklomm den Tafelberg um dort einen ganzen Tag lang herum zu spazieren und besuchte das ehemalige Gefängnis Nelson Mandelas auf Robben Island. Hat man nur ein Quäntchen Interesse an den Kampf der Minderberechtigten und unterdrückten Schwarzen während der Apartheid, ist dies der Ort um seinen Wissensdurst zu stillen. Unter Menschenrechtsverletzungen aller Art schafften es die Inhaftierten dennoch, sich höher zu bilden und später – zu Recht - die Führung des Landes zu übernehmen.
Es kam, wie es kommen musste: Ich war relativ erschöpft und unaufmerksam, als wir an den Reservoirs hintern Berg radelten. Im frischen Wind fuhren wir auf dem Rückweg mit fünfzig Stundenkilometern bergab als ich nach meiner herab wehenden Mütze griff. Es folgte ein gewaltiger Sturz, weit über dem Lenker hinaus und direkt auf der verwitterten Betonstraße. In diesem Moment dachte ich, nun sei es das gewesen. Ein Reflex, der Männern angeboren zu sein scheint, rettete mir das Leben: Ich hielt die Hände, die danach furchtbar zerschrammt waren, vor der Brust und streckte den Kinn aus, der die Wucht des Aufpralls aufnahm und entsprechend aufplatzte. Blut am ganzen T-Shirt. Mit einem Taschentusch behelfsmäßig verbunden, hatte ich keine Wahl als eigenhändig vom Berg herunter zu radeln um mich dann in einem Krankenhaus behandeln zu lassen. Dies musste ich natürlich selbst zahlen. Mein Kinn wurde mit zehn Stichen genäht, die ich einer Woche später dann selbst entfernte. Seitdem ist mein ehemaliges Kinngrübchen leider weg, trage ich meist ein Goatee und weiß, weshalb viele Männer am Kinn eine Narbe haben. Du vielleicht auch – von einer Treppe gefallen oder Ähnliches?
Das Leben ging daheim mühsam weiter – da wir uns nichts leisten konnten, sehnte ich mich nach kurzer Zeit bereits nach den nächsten Urlaub. In Kapstadt hatte ich zudem eine Sehnsucht nach Südafrika wieder erlangt, die weit über einen jährlichen Urlaub hinaus ging- ich wollte in absehbarer Zeit zurück an den Kap, wusste nur nicht, wie ich es jemals würde schaffen können! Vor Langeweile an den nicht enden wollenden Wochenend-Arbeitstagen und den Spätschichten, meldete ich mich bei einem bekannten schwulen Internetportal an. Dort konnte man Gedanken, Dates und vielem Mehr austauschen, während man oft versuchte, sich ein möglichst vielsagendes und schickes Profil mit allem bis zu hardcore-Bildern aufzubauen. Die Anzahl der verlinkten Freunde und Bekannten brachten einem Pluspunkte und Privilegien und man konnte herrlich lange die Zeit damit vertreiben, sich anderen Profilen anzuschauen und mit Leuten zu chatten. In der Zeit verabredete ich mich niemals über dieser Börse – ich war immer nur (geduldet!) auf der Arbeit online. An einem Punkt beschloss ich, obwohl sechs andere Schwule in der Firma auch dort angemeldet waren, mich dort als HIV-positiv zu outen und zu schauen, was passierte.
Ich veröffentlichte einen umfangreichen Text, in dem ich unter Anderen anbot, anderen HIV-positiven sowie Interessierten mit Rat und Tat beizustehen. Immerhin hatte ich bereits acht Jahre lang die Infektion sehr gut überlebt und war bestens damit klargekommen, dachte ich jedenfalls. Ich erhielt auch viele Zuschriften und war froh, der Community endlich ein klein Wenig zurückgeben zu können. Als das Wissen um meinen
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