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Axis

Axis

Titel: Axis Kostenlos Bücher Online Lesen
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überhaupt keine Leute. Das sind sie.«
    Sulean wandte sich in seine Richtung. »Weißt du wirklich, was da vorgeht, Isaac?«
    »Ja. Ich kann sie sehen.«
    »Die Hypothetischen?«
    Eine kurze Pause, dann: »So könnte man sie nennen.«
    »Dann erkläre es mir bitte, Isaac. Sag mir, was geschieht.«
    Für einen weiteren Augenblick war nichts zu hören als das Klopfen und Kratzen an den Wänden des eingestürzten Gebäudes.
    Und dann begann Isaac zu sprechen.

 
30
     
     
    Indem er sich an den zerbröselten Überresten der Gehsteige und Pflaster orientierte, führte sie Turk durch den bizarren Wald, der noch vor Kurzem eine Ölarbeiter-Siedlung gewesen war. Fand schließlich den Parkplatz des Einkaufszentrums – weiße Linien, aufgerissene Teerdecke –, von wo aus es nur noch ein kurzer Weg zu dem Gebäudekomplex war, in dem sie Diane Dupree, Sulean Moi, Anna Rebka und Isaac zurückgelassen hatten.
    Nur dass dieser Gebäudekomplex nicht mehr da war. Der Wald hatte ihn erobert, hatte sich die Betonstruktur einverleibt, hatte Böschungen aus zerbrochenen Fliesen, Wandfaserplatten, Holz und Aluminiumteilen gebildet und Haine aus wurzelumrankten Stahlträgern.
    »Versuchen wir, zur Südseite zu kommen«, sagte Turk. Wo der Supermarkt war – oder gewesen war. »Vielleicht steht dort noch etwas.«
     
    Der verwunschene Wald, dachte Lise. Wenn es je einen gegeben hat, dann hier.
    Unversehens murmelte sie einen Satz aus einer Geschichte vor sich hin, die ihr ihr Vater vorgelesen hatte, als sie klein war. Die Geschichte war längst vergessen, nur dieser eine Satz nicht: Und sie traten in den dunklen Wald.
    Sie traten in den dunklen Wald… aus Bäumen, in denen Vögel saßen, die aussahen wie eingerissene Papierbögen. Den Wald, aus dem sie – ein anderer Erinnerungsfetzen aus derselben Geschichte – entkommen mussten, doch das war leichter gesagt als getan. Denn hier gab es Wölfe oder Schlimmeres, und die Nacht würde bald anbrechen, und sie kannte den Weg nach draußen nicht. Sie wünschte sich, sie könnte unter der Bettdecke hervorkommen und die Hand ihres Vaters halten. Wünschte es sich so sehr…
    Sie schalt sich, diesmal mit den Worten ihrer Mutter: Sei nicht albern, Lise! Reiß dich zusammen, Mädchen!
    Beinahe wäre sie achtlos an einem mit Putz übersäten Haufen Metall vorbeigelaufen, hätte Turk sie nicht darauf aufmerksam gemacht: Das Auto, das Anna Rebka gefahren hatte. Aus dem Boden war ein Baumstamm hervorgeschossen und hatte das Fahrzeug umgekippt. Nun war es nicht mehr zu gebrauchen – doch auch ein unbeschädigtes Auto wäre in diesem Wald nutzlos gewesen. Wenn wir hier wegkommen wollen, dachte Lise, müssen wir zu Fuß gehen. Eine ziemlich erschreckende Aussicht.
    Zumindest war das Auto leer – Isaac und die Frauen konnten also noch am Leben sein.
    »Wir müssten jetzt in der Nähe des Supermarkts sein«, sagte Turk, worauf Dvali einige Meter vorauseilte, bis zu einer Stelle, von der aus man auf die Überreste der Schaufensterfront blicken konnte.
    Das Beben hatte diesen Teil des Einkaufszentrums nicht verschont, und sollten die anderen hier Schutz gesucht haben, so stand es mit ihren Überlebenschancen nicht zum Besten. Das war so offensichtlich, dass es nicht ausgesprochen werden musste.
    »Lasst uns erst mal auf die andere Seite gehen«, sagte Turk. »Sieht aus, als wäre das Gebäude dort etwas weniger beschädigt.«
    Mit hängenden Schultern blieb Dvali noch für einen Moment am Rand des Trümmerfeldes stehen, und zum ersten Mal empfand Lise eine gewisse Sympathie für ihn. Die ganze Nacht, den ganzen Morgen über hatte sie sich vorgestellt, dass Isaac und die Frauen irgendwo sicher untergekommen wären, die Gruppe bald wieder zusammen sein würde und sie und Turk zu einem sicheren Hafen Weiterreisen könnten, selbst wenn die durchgeknallten Vierten darauf bestanden, hier in diesem Irrenhaus zu bleiben. Das war ihr Best-Case-Szenario.
    Jetzt sah es allerdings so aus, als würde die Geschichte anders enden, als gäbe es keine Möglichkeit, aus dem dunklen Wald zu entkommen.
     
    Die Rückseite des Supermarkts wirkte auf den ersten Blick tatsächlich intakter als die Vorderseite, doch das lag nur daran, dass die Verladeplätze dem Erdbeben weitgehend standgehalten hatten. Ansonsten standen sie wie zuvor vor einem Trümmerfeld. Dvali schien gegen Tränen ankämpfen zu müssen.
    Nach einer Weile wandte sich Turk um, hob die Hand und sagte leise: »Horcht.«
    Lise stand ganz still. Sie hörte das

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