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Axis

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Titel: Axis Kostenlos Bücher Online Lesen
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und irgendwann in der Nacht war Lise neben Turk aufgetaucht, beide in der streng riechenden Kleidung, die sie seit Tagen trugen, doch das spielte keine Rolle. Sie schmiegte sich an ihn, ihr Atem wärmte seinen Nacken. Dann schwankte der Fußboden wie etwas Lebendiges, und die Luft war von einem infernalischen Tosen erfüllt, in dem Lises Schreie beinahe untergingen. Irgendwie gelang es Turk, sich umzudrehen und sie zu halten – sie hielten sich gegenseitig –, während der Lärm zu einem Crescendo anstieg und die Fenster auf den Boden krachten.
    Sie hielten einander, bis es aufhörte. Wie lange das war, konnte Turk nicht sagen. Eine mittlere Ewigkeit. Ihm dröhnten die Ohren, sein Körper fühlte sich wundgerieben an. Er schnappte nach Luft und fragte Lise, ob es ihr gut gehe, und sie schnappte nach Luft und sagte: »Glaube schon.« Dann rief Turk nach Dvali. »Mein Bein hat etwas abgekriegt«, kam die Antwort. »Ansonsten ist alles in Ordnung.«
    Das Dröhnen und der Schwindel hielten an, auch als das Beben längst vorbei war. Turk löste sich von Lise, tastete sich durch das Durcheinander auf dem Fußboden, bis er schließlich die Taschenlampe aufspürte, die zur Wand gerollt war. In ihrer Lichtsäule erschienen Staubkörner und Trümmerteile. Lise kauerte auf der Matratze, bleich wie ein Gespenst, Dvali, ebenso blass, saß in einer Ecke, an die Wand gelehnt. Sein linkes Bein blutete, doch es schien nicht allzu schlimm zu sein.
    »Und was machen wir jetzt?«, fragte Lise.
    »Bis zum Morgen warten und hoffen, dass es nicht wieder losgeht«, erwiderte Dvali.
    Falls der Morgen je kam, dachte Turk. Falls je wieder so etwas wie Sonnenlicht diese gottverlassene Einöde erreichte.
    Lise rappelte sich auf. »Ich behellige euch ja nur ungern mit solchen Banalitäten, aber ich muss mal. Und zwar dringend.«
    Turk richtete die Lampe auf das Bad. »Die Toilette scheint noch heil zu sein. Aber die Tür ist rausgesprungen.«
    »Dann schaut woanders hin.« Lise zog die Decke um sich, und Turk dachte, dass alles viel einfacher wäre, wenn er sie nicht so sehr lieben würde.
     
    »Da kommt Licht durchs Fenster«, sagte Lise etwa eine Stunde später. Turk stieg vorsichtig über die Glasscherben und warf einen Blick nach draußen.
    Der Ascheregen hatte aufgehört, so viel stand fest. Hätte es weiter solche Niederschläge gegeben wie gestern, wären sie daran erstickt. Jetzt hatte er den Eindruck, dass die Luft frischer roch, weniger schwefelig, aber vielleicht hatte er sich inzwischen einfach nur daran gewöhnt.
    Das Licht, von dem Lise gesprochen hatte, war kein Hirngespinst – das wurde klar, als er die Taschenlampe ausschaltete. Allerdings war es noch zu früh für die Morgendämmerung, und dieses Licht kam auch nicht vom Himmel. Es kam von unten.
    Von den Straßen, von den Gebäuden, aus der Wüste – von überall, wo Asche gefallen war.
    Als er noch zur See gefahren war, hatte Turk manchmal das Kielwasser des Schiffes leuchten sehen, von den biolumineszenten Algen, die sie aufgewühlt hatten. Das war ihm immer ein wenig unheimlich gewesen – doch was hier geschah, war noch viel seltsamer. Die Wüste – oder die interplanetarische Asche, die sich auf sie gelegt hatte – leuchtete in phosphoreszierenden Farben: edelsteinrot, glasig gelb, glitzernd blau. Und diese Farben veränderten sich ständig. Wie ein Polarlicht.
    »Was ist das?«, flüsterte Lise.
    Dvalis Gesicht spiegelte die Farben wider. »Ich glaube«, sagte er, »dass wir gerade in das Antlitz der Hypothetischen blicken.«
    »Und was machen sie da?«
    Diese Frage konnte auch Dvali nicht beantworten.
     
    Als der Morgen anbrach, wurde deutlich, wie viel Glück sie gehabt hatten. Der Nordflügel des Gebäudes war eingestürzt. Wenn wir nach links gegangen wären, dachte Turk, wären wir jetzt darunter begraben.
    Sobald es hell genug war, um sich zu orientieren, machten sie sich auf den Weg nach unten. »Wir müssen Isaac finden«, sagte Dvali.
    Aber Turk war sich nicht ganz schlüssig, wie sie dabei vorgehen sollten. Denn im Licht des Tages wurde noch etwas anderes deutlich: Die Situation draußen hatte sich völlig verändert.
    Wo vorher Wüste gewesen war, war jetzt Wald.
    Oder so etwas Ähnliches wie Wald.
     
    Das Wichtigste sei, dass sie Isaac und die anderen finden, wiederholte Dvali immer wieder, während er die Treppe hinunterhumpelte. Wobei »die anderen«, vermutete Lise, lediglich eine Fußnote in seinen Gedanken darstellten. Für Dvali gab es nur Isaac

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