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Axis

Axis

Titel: Axis Kostenlos Bücher Online Lesen
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Verhältnis von Sonnen und Planeten. Dr. Dvali unterrichtete ihn in Physik: schiefe Ebenen, das inverse Quadrat, Elektromagnetismus. Isaac erinnerte sich noch an sein Erstaunen, als er zum ersten Mal gesehen hatte, wie ein Magnet einen Löffel vom Tisch hob. Ein ganzer Planet, der alles nach unten zieht – und ein kleiner Stein, der die Kraft besitzt, diesen universellen Fluss umzukehren! Wie ging das vor sich? Er bemühte sich, Dr. Dvalis Antworten zu verstehen.
    Letztes Jahr hatte Dr. Dvali ihm einen Kompass gezeigt. Der Planet, so Dr. Dvali, war ebenfalls ein Magnet – er besaß einen rotierenden Eisenkern, also Kraftlinien, einen Schild gegen aufgeladene Partikel, die von der Sonne kamen, und eine Polarität, die Nord und Süd unterschied. Isaac hatte darum gebeten, den Kompass, ein auf der Erde hergestelltes Militärmodell, ausleihen zu dürfen, und Dr. Dvali hatte ihm großzügig erlaubt, ihn zu behalten.
    Später am Abend, allein in seinem Zimmer, legte Isaac den Kompass so auf seinen Schreibtisch, dass die rote Spitze der Nadel sich auf den Buchstaben N ausrichtete. Dann schloss er die Augen und drehte sich einige Male um sich selbst. Leicht schwindelig, die Augen noch immer geschlossen, fühlte er, was die Welt ihm mitteilte, erspürte seinen Platz in ihr, fand die Richtung, die seine innere Spannung linderte. Dann streckte er die rechte Hand aus und öffnete die Augen, um zu sehen, in welche Richtung er deutete.
    Dieses Experiment führte er an drei aufeinander folgenden Abenden durch. Jedes Mal stellte er fest, dass er fast haargenau auf das W auf dem Kompass ausgerichtet war.
    Dann wiederholte er das Ganze noch einmal. Und noch einmal. Und noch einmal.
     
    Es war kurz vor dem alljährlichen Meteorschauer, als er sich schließlich doch entschloss, Sulean Moi diese beunruhigende Entdeckung anzuvertrauen.
    Der Meteorschauer kam stets Ende August – in diesem Jahr am 34sten. (Die Monate in der Neuen Welt waren nach den terrestrischen Monaten benannt, hatten jedoch jeweils einige Tage mehr als ihre Namensvettern.) An der Ostküste von Äquatoria läutete der August den Anfang vom Ende eines milden Sommers ein: Die Boote verließen die reichhaltigen Fischgründe im Norden mit ihren letzten Fängen, um rechtzeitig nach Port Magellan zu gelangen, bevor die Herbststürme einsetzten. Hier in der Wüste bedeutete er wenig mehr als das langsame Abkühlen der Nächte. In der Wüste, so schien es Isaac, machten sich die Jahreszeiten vornehmlich nachts bemerkbar: Die Tage waren weitgehend immer gleich, doch die Nächte im Winter konnten bitterkalt werden.
    Nach und nach hatte Isaac es zugelassen, dass Sulean Moi seine Freundin wurde. Nicht dass sie über bedeutsame Dinge gesprochen oder überhaupt viel miteinander geredet hätten. Sulean schien ebenso schweigsam zu sein, wie Isaac es oft war. Aber sie begleitete ihn auf seinen Spaziergängen durch die Hügel, und sie war dabei gewandter, als man es ihr angesichts ihres Alters zugetraut hätte: Zwar ging sie langsam, doch sie konnte genauso gut klettern wie Isaac, und sie konnte auch stundenlang bewegungslos dasitzen, wenn er es tat. Sie erweckte nie den Eindruck, dass es ihr eine Pflicht war oder eine Strategie oder irgendetwas anderes als eben ihre Art, bestimmte Freuden mit ihm zu teilen, Freuden, von denen er immer geglaubt hatte, sie seien einzig und allein die seinen.
    Sulean konnte den alljährlichen Meteorschauer noch nicht gesehen haben, da sie Isaac erzählt hatte, sie sei erst vor einigen Monaten in Äquatoria eingetroffen. Isaac war ein erklärter Fan dieses Ereignisses und sagte ihr, sie müsse es unbedingt von einem guten Aussichtspunkt aus erleben. Also führte er sie – mit der zögerlichen Erlaubnis von Dr. Dvali, der gewisse Vorbehalte gegen Sulean Moi zu hegen schien – am Abend des 34. zu dem flachen Fels im Vorgebirge, demselben Fels, von dem aus er sie vor einiger Zeit am in der Sonne zitternden Horizont hatte auftauchen sehen.
    Im Gegensatz zu damals war es jetzt dunkel. Der Mond der Neuen Welt war kleiner und schneller als der Mond der Erde und er hatte den Himmel bereits vollständig abgeschritten, als Sulean und Isaac an ihrem Ziel ankamen. Beide hatten sie Handlaternen zur Orientierung mit, beide trugen sie hohe Stiefel und dicke Überhosen, um sich vor den Sandbandfischen zu schützen, die sich oft auf den Felsvorsprüngen aalten, während das Gestein noch die Hitze des Tages ausatmete. Isaac suchte den Platz gründlich ab, ohne

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