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Axis

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Titel: Axis Kostenlos Bücher Online Lesen
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irgendwelche Fauna auszumachen. Dann ließ er sich im Schneidersitz auf dem Stein nieder. Unter einigen Mühen, doch ohne sich zu beklagen, nahm Sulean die gleiche Stellung ein. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck ruhiger Erwartung. Sie schalteten die Lampen aus und ließen sich von der Dunkelheit umfangen. Die Wüste war schwärzer als der Himmel – der Himmel war voller Sterne. Diese Sterne hatten keine offiziellen Namen außer den Katalognummern, die ihnen von den Astronomen zugewiesen worden waren. Sie waren so dicht am Himmel verteilt wie ein Insektenschwarm. Jeder Stern war eine Sonne, wie Isaac wusste, und viele von ihnen warfen ihr Licht auf unzugängliche, unerforschliche Landschaften, womöglich auf Wüsten wie diese. Es lebten Dinge zwischen diesen Sternen, wie er ebenfalls wusste. Dinge, die ein langsames, kaltes Leben lebten, in dem das Vergehen eines Jahrhunderts nicht mehr war als das Blinzeln eines fernen Auges.
    »Ich weiß, warum du hierhergekommen bist«, sagte Isaac. In der Dunkelheit konnte er das Gesicht der Alten nicht sehen, was ihm die Unterhaltung erleichterte, die Ungeschicktheit der Worte linderte, die ihm wie Backsteine im Mund steckten.
    »Ach ja?«
    »Um mich zu studieren.«
    »Nein. Nicht, um dich zu studieren. Ich studiere eher den Himmel im Allgemeinen als dich im Besonderen.«
    Wie die anderen Erwachsenen in dem Komplex interessierte sie sich für die Hypothetischen – die unsichtbaren Wesen, die den Himmel und die Erde umgestaltet hatten.
    »Aber wegen dem, was ich bin.«
    Sie legte den Kopf zur Seite und sagte: »Nun ja, das ist richtig.«
    Er erzählte ihr von seinem Richtungssinn. Zunächst etwas stockend, dann immer selbstsicherer, vertrauensvoller.
    Er versuchte, den Fragen vorzugreifen, die sie vielleicht stellen wollte. Wann hatte er diese Begabung zuerst bemerkt? Er wusste es nicht mehr genau, nur dass es in diesem Jahr gewesen war, vor einigen Monaten und zuerst nur ganz undeutlich: Zum Beispiel hatte er gern in der Bibliothek gearbeitet, weil sein Schreibtisch dort in die gleiche Richtung wies wie der Tisch in seinem Zimmer, obwohl es kein Fenster zum Hinausblicken gab. Im Speisesaal saß er immer auf der Seite des Tisches, die der Tür am nächsten war, selbst wenn niemand sonst anwesend war. Und er hatte sein Bett so verstellt, dass er leichter schlafen konnte, nämlich ausgerichtet auf – auf, nun ja, was?
    Er konnte es nicht sagen. Ganz gleich, wo er war, immer gab es, wenn er still stand, eine Richtung, in die er lieber blickte als in die anderen. Es war nichts Zwanghaftes, eher ein sanftes Drängen, das man auch ignorieren konnte. Es gab eine gute Richtung, in die man blickte, und es gab weniger gute.
    »Und blickst du jetzt in die gute Richtung?«, fragte Sulean.
    So war es in der Tat. Es war ihm nicht bewusst gewesen, bevor sie gefragt hatte, aber es fühlte sich richtig an, auf diesem Fels zu sitzen, von den Bergen abgewandt, und in das dunkle Hinterland zu blicken.
    »Westen«, sagte Sulean. »Du blickst gern nach Westen.«
    »Ein bisschen nördlich von Westen.«
    Da. Das Geheimnis war heraus. Es gab weiter nichts zu sagen. Er hörte in der Stille, wie Sulean Moi ihre Sitzhaltung veränderte, und fragte sich, ob es schmerzhaft war, auf hartem Stein zu sitzen, wenn man so alt war. Falls dem so war, ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Sie sah zum Himmel hinauf.
    »Du hattest recht mit den fallenden Sternen«, sagte sie nach langem Schweigen. »Sie sind wirklich bezaubernd.«
    Der Meteorschauer hatte begonnen.
    Dr. Dvali hatte Isaac von den Meteoren erzählt, die eigentlich gar keine Sterne waren, sondern brennende Bruchstücke aus Stein oder Staub, die Überreste von Kometen, die über Jahrtausende um die Sonne der Neuen Welt gekreist waren. Doch diese Erklärung hatte Isaacs Faszination nur noch verstärkt. Es war, als könnte er in diesen vergänglichen Lichtern die Ausführung uralter Baupläne spüren, Vektoren, in Bewegung gesetzt, lange bevor sich der Planet gebildet hatte (oder von den Hypothetischen konstruiert worden war), Rhythmen, die sich über eine Lebenszeit oder mehrere oder gar die Lebenszeit einer Spezies hinweg entfalteten und verfeinerten. Funken flogen über den Zenit, von Osten nach Westen, während Isaac zufrieden dem Gemurmel der Nacht lauschte.
    Bis Sulean sich plötzlich erhob und in Richtung der Berge spähte. »Sieh mal – was ist das?«, sagte sie. »Es sieht aus, als würde etwas herunterfallen.« Wie leuchtender Regen, als

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