Axis
Unvollständig und nicht an diese Umgebung angepasst – aber als sie sein Handgelenk umfasste, fühlte es sich zutiefst richtig an. Ein Teil seines Sehnens war vorübergehend befriedigt worden.
Doch dieser Kontakt war nun vorbei, und das Sehnen war nur noch stärker geworden. Er sehnte sich nach der westlichen Wüste, so sehr. Natürlich hatte er auch Angst – Angst vor dem weiten, trockenen Land und vor dem, was er dort finden mochte, Angst vor dem Drang, der ihn mit aller Macht erfasst hatte. Aber es war ein Drang, ein Wunsch, der gestillt werden konnte. Das wusste er jetzt.
Er beobachtete die Morgendämmerung, die die Sterne vertrieb. Der Planet drehte sich der Sonne zu wie eine Blume.
Zwei der Gemeinschaftsmitglieder führten Lise und Turk in eine Art Schlafsaal, in dem mehrere Liegen aufgestellt worden waren. Das Bettzeug hatte den typischen Geruch von Wäsche, die lange unbenutzt im Schrank gelegen hatte.
Ihre Begleitpersonen, beide Frauen, waren reserviert, machten aber einen nicht unfreundlichen Eindruck. »Das Bad, falls Sie es benutzen wollen, ist hier den Gang hinunter«, sagte die Jüngere.
Lise wandte sich ihr zu. »Ich muss mit Dr. Dvali sprechen. Können Sie ihm ausrichten, dass ich um eine Unterredung bitte.«
Die Vierten wechselten einen Blick. »Morgen Früh«, sagte die Jüngere.
Als sie gegangen waren, legte sich Lise auf die erstbeste Liege. Turk streckte sich auf einer anderen aus und fing fast augenblicklich an zu schnarchen.
Sie widerstand dem Drang, ihm einen Stups zu geben.
In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sie hatte bei einem Diebstahl mitgemacht, nahm die Gastlichkeit einer Gruppe von abweichlerischen Vierten in Anspruch, und Avram Dvali war nur wenige Zimmer entfernt. Und damit möglicherweise das Geheimnis, das ihre Familie seit so vielen Jahren quälte.
Sie stand auf, glitt auf Zehenspitzen durch das Zimmer und schlüpfte unter Turks Decke. Schmiegte sich an ihn, eine Hand auf seiner Schulter, die andere unter sein Kissen geschoben, in der Hoffnung, dass etwas von seinem Mut – oder seiner Wut – in sie hineinströmen und ihr ein wenig von ihrer Angst nehmen würde.
Diane saß mit Mrs. Rebka – Anna Rebka, deren Ehemann Joshua gestorben war, bevor sie eine Vierte wurde – in einem Raum voller Tische und Stühle, der offenbar erst kürzlich von den Mitgliedern der Gemeinschaft verlassen worden war. Halb leere Wassergläser standen noch herum. Es war spät, die Nachtluft kühlte Diane die Füße.
So haben sie sich hier also eingerichtet, dachte sie. Nicht unkomfortabel, wenn auch recht nüchtern. Es herrschte eine etwas klösterliche Atmosphäre, eine gewisse Andächtigkeit. Etwas, das ihr auf unbehagliche Weise vertraut war – sie hatte den Großteil ihrer Jugend unter äußerst religiösen Menschen verbracht.
Irgendwo versteckt, vermutlich unter der Erde, befanden sich die Niedrigtemperatur-Bioreaktoren, in denen die marsianischen »Pharmazeutika« gezüchtet und gelagert wurden. Die Brennöfen, die der Tarnung dienten, hatte sie bereits gesehen: Ein argloser Besucher würde primitive Töpfereiprodukte und erbauliche Schriften in die Hand gedrückt bekommen und keinerlei Anhaltspunkte finden für das, was hier wirklich vorging.
»Die Genomische Sicherheit«, sagte Diane, »ist in Port Magellan aktiv geworden, offenbar mit größerem Aufgebot. Und sie werden Sie über kurz oder lang aufspüren. Sie haben sich der Marsianerin an die Fersen geheftet.«
Anna Rebka bewahrte eiserne Ruhe. »Sind sie ihr nicht seit eh und je auf den Fersen?«
»Es scheint, als würden sie das jetzt besser machen als früher.«
»Wissen sie, dass sie hier ist?«
»Wenn nicht, werden sie es bald herausfinden.«
»Dadurch, dass Sie hierhergekommen sind, haben Sie sie womöglich auf unsere Spur gesetzt.«
»Die Linie zwischen Sulean Moi und Kubelick’s Grave haben sie bereits gezogen. Und sie kennen Dvalis Namen.
Da dürfte es ihnen nicht sehr schwerfallen, diesen Ort hier ausfindig zu machen, meinen Sie nicht?«
»Nicht sehr schwer.« Anna Rebka starrte auf die Tischplatte. »Wir haben uns stets unauffällig verhalten, aber trotzdem…«
»Trotzdem haben Sie für derartige Unwägbarkeiten vorgesorgt, nicht wahr?«
»Selbstverständlich. Wir können innerhalb weniger Stunden verschwunden sein. Falls wir dazu gezwungen sind.«
»Was ist mit dem Jungen?«
»Er ist bei uns in sicheren Händen.«
»Und wie läuft das Experiment? Haben Sie Kontakt mit den
Weitere Kostenlose Bücher