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Ayesha - Sie kehrt zurück

Ayesha - Sie kehrt zurück

Titel: Ayesha - Sie kehrt zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Rider Haggard
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ausladendes Gebäude, offensichtlich der Tempel, und in einem uns näherliegenden Teil der Bauten entdeckte ich eine kleine Tür, direkt unter dem rauchenden Schornstein. Auf diese Tür ging ich zu und hämmerte mit der Faust gegen das Holz.
    »Macht auf! Öffnet uns, ihr heiligen Lamas! Fremde bitten euch um Obdach!«
    Nach einer Weile hörte ich schlurfende Schritte, und die Tür ging knarrend auf. Ich sah einen uralten Mann in zerfransten, gelben Roben.
    »Wer ist da? Wer ist da?« rief er und blickte mich durch die Gläser einer Hornbrille an. »Wer stört unsere Einsamkeit, die Einsamkeit der heiligen Lamas der Berge?«
    »Reisende, Heiliger, die genug Einsamkeit gehabt haben«, antwortete ich in seinem Dialekt, mit dem ich gut vertraut war. »Reisende, die hungrig sind und um Obdach bitten. Eine Bitte«, setzte ich hinzu, »die du nicht zurückweisen darfst.«
    Er starrte uns durch seine Hornbrille an, und da er in unseren Gesichtern nichts erkennen konnte, blickte er auf unsere Kleidung, die genauso zerschlissen war wie die seine und ihr auch ähnelte. Wir trugen die Kleidung tibetanischer Mönche, bestehend aus gefütterten, knöchellangen Röcken und einer Robe, die einem Burnus ähnelte. Wir hatten uns an sie gewöhnt, da wir nichts anderes bekommen konnten. Sie schützte uns gut gegen die Unbilden der Witterung und war unauffällig, hätte es in dieser Region jemanden gegeben, dem wir auffallen hätten können.
    »Seid ihr Lamas?« fragte er mißtrauisch. »Und wenn, von welchem Kloster?«
    »Lamas sind wir«, antwortete ich, »Lamas des Klosters, das die Welt heißt, und wo man hungrig werden kann.«
    Die Antwort schien ihm zu gefallen, denn er kicherte ein wenig, doch dann schüttelte er den Kopf und sagte: »Es ist gegen unsere Gesetze, Fremde bei uns aufzunehmen, wenn sie nicht unseres Glaubens sind, und ich bin sicher, daß ihr nicht zu uns gehört.«
    »Und es ist noch mehr gegen euer Gesetz, heiliger Khubilghan« – denn mit diesem Titel werden die Äbte angesprochen –, »Fremde verhungern zu lassen«, und ich zitierte eine bekannte Passage aus den Sprüchen Buddhas, die zu dieser Situation paßte.
    »Ich sehe, daß Ihr die Schriften kennt«, rief er verwundert, »und solchen darf ich das Obdach nicht verwehren. Tretet ein, Brüder des Klosters, das sich die Welt nennt. Aber da ist noch das Yak, das auch Anspruch auf Obdach hat.« Er wandte sich um und schlug auf einen Gong, der hinter der Tür hing.
    Ein zweiter Mann erschien, der noch mehr Falten im Gesicht hatte und anscheinend noch älter war als der Abt, und er starrte uns mit offenem Mund an.
    »Bruder«, sagte der Abt, »mach deinen großen Mund zu, damit nicht ein böser Geist hineinfliegt. Nimm dieses arme Yak und füttere es doch gemeinsam mit den anderen Tieren!«
    Wir nahmen unsere Sachen von dem Rücken des Yaks, und der alte Bursche, dessen pompöser Titel ›Herr der Herden‹ war, führte es fort.
    Als das Yak gegangen war – ziemlich widerwillig, da es sich nicht gern von uns trennte und seinem Führer mißtraute – brachte uns der Abt, dessen Name Kou-en war, in den Wohnraum des Klosters, oder die Küche, da er offenbar für beide Zwecke benutzt wurde. Hier trafen wir die anderen Bewohner des Klosters, etwa zwölf Mönche, die um das Feuer saßen, dessen Rauch wir bemerkt hatten. Einer von ihnen war damit beschäftigt, die Morgenmahlzeit zu kochen, die anderen wärmten sich.
    Es waren alles alte Männer, der jüngste von ihnen mindestens fünfundsechzig Jahre alt. Wir wurden ihnen feierlich als ›Brüder des Klosters, das die Welt genannt wird und wo Menschen hungern‹ vorgestellt, denn der Abt konnte sich nicht von seinem kleinen Scherz trennen.
    Die alten Mönche starrten uns an, rieben ihre knochigen Hände, verbeugten sich, hießen uns willkommen und waren offensichtlich froh über unsere Ankunft. Das war nicht erstaunlich, da wir seit über vier Jahren die ersten Besucher waren, wie sich herausstellte.
    Und sie beließen es auch nicht bei freundlichen Worten. Sie stellten Wasser aufs Feuer, und während es heiß wurde, bereiteten zwei von ihnen einen Raum für uns vor und andere zogen uns die harten, eisverkrusteten Stiefel von den Füßen, halfen uns aus den dicken gefütterten Röcken und brachten Pantoffel. Dann führten sie uns in das Gästezimmer und wiesen uns darauf hin, daß es ein glückbringender Raum sei, da einmal ein berühmter Heiliger in ihm geschlafen habe. Ein Feuer brannte, und – Wunder über Wunder

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