Ayesha - Sie kehrt zurück
Schwert aus und gib mir alle Reichtümer der Erde, um meine Schatzkammern damit zu füllen. Lehre mich, dem Orkan zu befehlen, so wie du es tun kannst, und die Gesetze der Natur zu brechen, damit sie meinem Willen gehorsam sind: mache mich zu einem Halbgott auf dieser Erde – so wie du es bist.
Aber, Ayesha, ich bin kein Gott; ich bin ein Mann, und als Mann suche ich die Frau, die ich liebe. Oh, lege alle Attribute deiner Macht ab – jener Macht, die deinen Weg mit Toten säumt und dich von mir trennt. Vergiß wenigstens für eine kurze Nacht den Ehrgeiz, der ständig an deiner Seele nagt; vergiß ein einziges Mal deine Größe und sei eine Frau – meine Frau.«
Sie antwortete nicht. Sie sah ihn nur an und schüttelte den Kopf.
»Du weist mich zurück«, sagte er heftig, »und sagst mir, daß es nicht sein kann, nicht sein darf. Doch, Ayesha, du hast geschworen, und ich verlange, daß du diesen Eid hältst.
Höre! Ich will deine Gaben nicht; ich will nicht die Herrschaft, die du mir anbietest, nicht den Thron des Pharao; ich will den Menschen Gutes tun, nicht sie töten. Ich werde nicht mit dir nach Kôr gehen, um dort den Atem des ewigen Lebens zu erhalten. Ich werde dich verlassen und über die Berge in die Welt zurückkehren – oder dort umkommen; und all deine Kraft reicht nicht aus, um mich an deiner Seite zu halten, da du mich nicht wirklich brauchst. Ich werde nicht länger die täglichen Qualen ertragen, dich vor mir zu sehen, deine süßen Worte zu hören, die liebevollen Blicke deiner Augen zu spüren, und deinen Versprechungen zu glauben: nächstes Jahr, nächstes Jahr. Also halte dein Wort oder laß mich gehen!«
Ayesha schwieg noch immer, doch jetzt senkte sie den Kopf, und ihre Brust hob und senkte sich mit ihren schweren Atemzügen. Leo trat auf sie zu, nahm sie in seine Arme und wollte sie küssen. Sie löste sich mit einer heftigen Bewegung von ihm.
»Habe ich nicht Holly gewarnt«, flüsterte sie seufzend, »daß du dich zurückhalten sollst, damit dein menschliches Feuer nicht auf mich übergreift? Mann, ich sage dir, es beginnt bereits in meinem Herzen zu glimmen, und wenn es zur Flamme werden sollte ...«
»Dann«, sagte er lachend, »werden wir für eine kleine Weile glücklich sein.«
»Ja, Leo, aber für wie lange? Wärest du wirklich der Herr über meine Schönheit, ich sage dir: bei Nacht und bei Tag würden hundert eifersüchtige Dolche dein Herz suchen – bis einer von ihnen es findet.«
»Wie lange, Ayesha? Ein Menschenalter, ein Jahr, einen Monat, eine Minute – ich weiß es nicht, und es kümmert mich nicht. Solange du mir treu bist, fürchte ich die Dolche des Neides nicht.«
»Wirklich? Willst du die Gefahr auf dich nehmen? Ich kann dir nichts versprechen. Du könntest – ja, auf diese oder jene Weise – sterben.«
»Und wenn ich sterbe, was dann? Werden wir dann voneinander getrennt?«
»Nein, nein, Leo, das ist nicht möglich. Wir können nie wieder voneinander getrennt werden, dessen bin ich sicher; es ist mir geschworen worden. Doch dann müssen sich unsere Schicksale vielleicht durch andere Leben und durch andere Sphären, höhere Leben und höhere Sphären, wenn es so sein soll, ihren harten Weg zu ihrem letzten Ziel der Vereinigung erkämpfen.«
»Dann, Ayesha, werde ich das Risiko auf mich nehmen. Soll das Leben, das ich aufs Spiel setzte, um einen Leoparden oder einen Löwen um des Vergnügens willen zu erlegen, ein zu hoher Preis für die Wärme deiner Brust sein? Dein Eid, Ayesha! Ich verlange, daß du deinen Eid hältst!«
Dies war der Augenblick, an dem sich in Ayesha die geheimnisvollste ihrer vielen Veränderungen vollzog. Aber wie soll ich sie beschreiben?
Vor einigen Jahren waren wir in Tibet viele Monate lang von Schnee eingeschlossen gewesen, der sich von den Hängen der Berge bis tief in die Täler erstreckte. Und – Oh! – Wie müde wurden wir dieses Anblicks der unendlichen, blendenden Felder aus reinstem Weiß. Endlich begann es zu regnen, und dichte Nebel zogen über das Land; so dicht waren die Nebel, daß man keinen Fuß vor die Tür setzen konnte, und sie die dunklen Nächte noch dunkler machten.
So war es, bis eines Morgens die Sonne wieder schien, und wir traten zur Tür und blickten hinaus. Ein Wunder war geschehen! Der Schnee, der das Tal erstickt hatte, war verschwunden, und an seiner Stelle sahen wir frisches Gras, aus dem überall Blumen sprossen, murmelnde Bäche, in den Weiden zwitscherten Vögel, die ihre Nester bauten.
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