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Azathoth - Vermischte Schriften

Azathoth - Vermischte Schriften

Titel: Azathoth - Vermischte Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
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Himmelstroms Das Aufblitzen von Licht in den Weiden ähnelt dem Zucken von tausend silbernen Eiritzen Durch dunkle Untiefen; l Die Platten auf Gräbern und verfallenden Tempeln blitzen auf die Wellen Der Himmel ist wolkengefleckt wie die Schuppen eines Drachen.
    Umhüllt von Traumnebeln rief die Leserin die rhythmischen Sterne an, verkündete ihre Freude über die Heraufkunft eines neuen Zeitalters des Gesangs, einer Wiedergeburt des Pan. Mit halbgeschlossenen Augen wiederholte sie Worte, deren Melodie verborgen lag wie Kristalle auf dem Grund eines Flusses vor der Dämmerung, verborgen, aber nur, um bei der Geburt des Tages glänzend zu schimmern.
    Mond über Japan, Weißer Schmetterlingsmond!
    Mond über den Tropen Weißgeschweifte Knospe, Die ihre Blüten langsam in der Wärme des Himmels öffnet...
    Die Luft ist voller Düfte Und matter warmer Klänge...
    Mond über China, Müder Mond des Himmelstroms...
    Aus dem Nebel drang gottähnlich glitzernd die Gestalt eines Jünglings in Flügelhelm und Sandalen, den Merkurstab in der Hand, von einer Schönheit, die mit nichts auf Erden zu vergleichen war. Vor dem Gesicht der Schläferin schwenkte er dreimal den Stab, den Apollo ihm im Tausch gegen die neunsaitige Muschel der Melodie gegeben hatte, und auf ihre Stirn legte er einen Kranz von Myrten und Rosen. Dann sprach Hermes bewundernd:
    »O Nymphe, die du schöner bist als die goldhaarigen Schwestern der Dyene oder die im Himmel wohnenden
    Atlantiden, Liebling der Aphrodite und Gesegnete der Pallas, du hast wahrhaftig das Geheimnis der Götter entdeckt, nämlich Schönheit und Gesang. 0 Prophetin, die du lieblicher bist als die Sybille von Cumae, als Apollo sie kennenlernte, du hast wahrhaftig von einem neuen Zeitalter gesprochen, denn eben jetzt seufzt Pan und reckt sich im Schlaf auf Maenalus, um zu erwachen, und erblickt rings um sich die kleinen

    rosenbekränzten Faune und die uralten Satyre. In deiner Sehnsucht hast du entdeckt, woran sich kein Sterblicher mit Ausnahme einiger weniger, die die Welt verschmäht, erinnert: d aß die Götter niemals tot waren, sondern einfach den Schlaf schliefen und Götterträume in lotosgeschmückten Hesperiden-Gärten jenseits des goldenen Sonnenuntergangs träumten. Und jetzt kommt die Zeit ihres Erwachens, wenn Kälte und Häßlichkeit untergehen werden und Zeus wieder auf dem Olymp thronen wird. Das Meer rings um Paphos erzittert bereits in einer Gischt, auf die der Himmel des Altertums schon einmal herabgeblickt hat, und des Nachts auf Helikon hören die Hirten merkwürdiges Gemurmel und halbvergessene Töne. Wälder und Felder erzittern im Zwielicht unter dem schimmernden Weiß tanzender Gestalten, und der zeitlose Ozean bringt seltsame Einblicke unter dünnen Monden hervor. Die Götter sind geduldig und haben lange geschlafen, aber weder Mensch noch Riese soll sich den Göttern auf ewig widersetzen. Im Tartarus winden sich die Titanen, und unter dem feurigwilden Ätna stöhnen die Kinder von Uranus und Gaea. Jetzt bricht der Tag an, da der Mensch Rede und Antwort stehen muß für
    Jahrhunderte der Verleugnung, aber ihr Schlaf hat die Götter milde gestimmt, und sie werden ihn nicht in den Abgrund für Gottesleugner schleudern. Statt dessen wird ihre Rache das Dunkel, die Täuschung und die Häßlichkeit zerschmettern, die den menschlichen Geist auf Abwege gebracht haben, und unter der Herrschaft des bärtigen Saturn werden die Sterblichen, ihm neuerlich Opfer darbietend, in Schönheit und Freude ihr Leben verbringen. Noch diese Nacht sollst du die Gnade der Götter erfahren und auf dem Parnaß jene Träume von Angesicht zu Angesicht sehen, welche die Götter durch die Zeiten hindurch zur Erde gesandt haben, um zu zeigen, daß sie nicht tot sind.
    Denn Dichter sind die Traumgestalten der Götter, und in jedem Zeitalter hat jemand, ohne es zu ahnen, die Botschaft und die Verheißungen auf den Lotosgärten jenseits des

    Sonnenuntergangs verkündet..
    Nach diesen Worten trug Hermes die träumende Jungfrau durch den Himmel. Sanfte Brisen vom Turm des Äolus führten sie hoch empor über warme, wohlriechende Meere, bis sie plötzlich auf Zeus stießen, der auf dem doppelköpfigen Parnaß Hof hielt, sein goldener Thron flankiert von Apollo und den Musen zur Rechten, und dem efeubekränzten Dionysos und den von Lust geröteten Bacchanten zur Linken. Solch eine Pracht hatte Marcia nie zuvor gesehen, weder wachend noch träumend, aber ihr Strahlenglanz fügte ihr kein Leid zu, wie

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