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Azathoth - Vermischte Schriften

Azathoth - Vermischte Schriften

Titel: Azathoth - Vermischte Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
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Gefühl ergriffen. Es überkam mich so langsam, so hinterlistig, daß es mir kaum auffiel. Wenn ich im Geiste jene zukunftsträchtige Stunde vorüberziehen lasse, kommt es mir vor, daß dieses Gefühl mit dem ersten Blick auf die Begräbnisszenerie zusammenhängen muß und seinen Griff mit raffinierter Hinterhältigkeit schweigend verstärkte. Ein verderblicher, bösartiger Einfluß, der von der Leiche selbst auszugehen schien, hielt mich mit magnetischer Faszination gebannt. Mein ganzes Wesen schien mit einer ekstatischen elektrischen Kraft aufgeladen zu sein, und ich fühlte, wie sich meine Gestalt ohne bewußte
    Willensanstrengung aufrichtete. Meine Augen versuchten, die geschlossenen Lider des Toten zu durchdringen und eine geheime Botschaft abzulesen, die hinter ihnen verborgen lag.
    Mein Herz hüpfte plötzlich vor unheimlichem Entzücken und schlug mit dämonischer Kraft gegen meine Rippen, als wollte es sich von den beengenden Wänden meiner gebrechlichen Gestalt befreien. Eine ausgelassene, ungezügelte und die Seele befriedigende Sinnlichkeit erfaßte mich. Aufs neue wurde ich durch einen kräftigen Stoß des mütterlichen Ellbogens zum Handeln getrieben. Ich hatte den Weg zu dem schwarzverhüllten Sarg mit bleiernem Schritt zurückgelegt, mit neuerlangter Lebhaftigkeit ging ich hinweg.
    Ich begleitete den Leichenzug zum Friedhof, mein ganzes körperliches Dasein durchdrungen von diesem mystischen, belebenden Einfluß. Es war, als hätte ich einige tiefe Züge eines exotischen Elixiers genommen - einen abscheulichen Trank, der nach gotteslästerlichen Rezepturen in den Archiven Belials gebraut worden war.
    Die Ortsbewohner waren vertieft in die Zeremonie, so daß nur mein Vater und meine Mutter die radikale Veränderung meines Benehmens bemerkten, aber in den folgenden vierzehn Tagen lieferte mein verändertes Verhalten den Wichtigtuern frischen Stoff für ihre spitzen Zungen. Gegen Ende dieses Zeitraums begann die Kraft des Stimulans an Wirkung zu verlieren. Nach ein bis zwei Tagen war ich wieder in meine altgewohnte Apathie verfallen, wenn auch nicht in die vollständige und gründliche Lähmung wie in der Vergangenheit. Früher hatte ich nicht das geringste Verlangen verspürt, aus meiner Abgespanntheit auszubrechen. Jetzt trieb mich eine vage und unbestimmbare Unruhe an. Äußerlich war ich wieder ich selbst geworden, und die Klatschbasen wandten sich einem
    lohnenderen Thema zu. Hätten sie auch nur im entferntesten den wahren Grund meiner heiteren Stimmung geahnt, hätten sie mich gemieden, als wäre ich ein abscheuliches, lepröses Wesen.
    Hätte ich mir die widerliche Macht hinter meiner so kurz währenden Hochstimmung vor Augen geführt, hätte ich mich für immer von der übrigen Welt zurückgezogen und den Rest meiner Jahre in reuiger Abgeschiedenheit zugebracht.
    Ein Unglück kommt selten allein, und deshalb starben in den nächsten fünf Jahren, trotz der sprichwörtlichen Langlebigkeit unserer Ortsbewohner, beide Elternteile. Meine Mutter ereilte es zuerst, bei einem höchst ungewöhnlichen Unfall; und mein Schmerz war so echt, daß ich ehrlich überrascht war, als seine Aufrichtigkeit durch jenes beinahe vergessene Gefühl äußerster und teuflischer Ekstase verhöhnt und widerlegt wurde. Wieder einmal sprang mir das Herz ungebärdig im Leib, wieder einmal pochte es mit der Geschwindigkeit eines Hammerwerks und ließ mit meteorischem Eifer das heiße Blut in meinen Adern zirkulieren. Ich schüttelte den lästigen Mantel der Trägheit ab, nur um sie durch die weitaus entsetzlichere Last eines abscheulichen, unheiligen Verlangens zu ersetzen. Ich kam nicht von dem Sterbezimmer los, in dem die Leiche meiner Mutter lag, meine Seele dürstete nach dem teuflischen Nektar, der die Luft des abgedunkelten Raums zu durchdringen schien. Jeder Atemzug verlieh mir Kraft, hob sich empor zu hochaufragenden Höhen seraphischer Befriedigung. Mir war jetzt klar, daß es sich lediglich um eine Art Drogendelirium handelte, das bald vorüberging und mich durch seine bösartige Kraft entsprechend geschwächt zurückließ, doch konnte ich mein Verlangen so wenig beherrschen, wie ich die gordischen Knoten in dem bereits verworrenen Strang meines Schicksals durchschlagen konnte.
    Ich wußte auch, daß durch einen seltsamen Teufelsfluch mein Leben in allem, was ich tat, von Taten beflügelt wurde, daß es in meiner Persönlichkeit etwas gab, das nur auf die
    ehrfurchtgebietende Anwesenheit eines leblosen Körpers

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