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Azathoth - Vermischte Schriften

Azathoth - Vermischte Schriften

Titel: Azathoth - Vermischte Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Phillips Lovecraft
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Stunde.
    Da jeder Versuch, die bedrängenden Delirien abzuwehren, scheiterte, spähte ich noch einmal zu dem Fenster mit den offenstehenden Fensterläden hin und erblickte erneut das dem Grab entstiegene Ungeheuer. Zuvor war es bloß gräßlich gewesen; jetzt spottete es jeder Beschreibung. Das Wesen, früher von unbestimmter Beschaffenheit, bestand jetzt aus bösartig rotem Feuer und fuchtelte abstoßend mit den vier tentakelbewehrten Klauen, drohte mit abscheulich züngelnden, lebhaften Flammen. Es wollte nicht aufhören, mich aus dem Dunkeln anzustarren; höhnisch, spottend, bald vorrückend, bald sich zurückziehend. Dann deuteten diese vier zuckenden Feuerklauen in der schwarzen Stille einladend auf ihre dämonisch tanzenden Gegenstücke an den Wänden und
    schienen rhythmisch den Takt zu der schockierenden Sarabande zu schlagen, bis die ganze Welt ein gespenstisch rotierender Wirbel von hüpfenden, springenden, gleitenden, höhnenden, lockenden, drohenden Vier-Ufer-Ziffern war. Irgendwo, aus weiter Ferne kommend und sich über das sphinxähnliche Meer und die Fiebersümpfe ausbreitend, hörte ich, wie der frühe Morgenwind keuchend sich näherte; zuerst kaum merklich, dann immer lauter, bis sein unaufhörlicher Kehrreim zur Sintflut einer schwirrenden, summenden Kakophonie heranrauschte, die immerwährend die entsetzliche Drohung »vier Uhr, vier Uhr, VIER UHR« mit sich führte. Eintönig schwoll sie vom Flüstern zu betäubendem Lärm an, wie ein riesiger Wasserfall, aber schließlich erreichte sie einen Höhepunkt und begann zu verklingen. Beim Zurückweichen blieb in meinem
    empfindlichen Ohren ein Vibrieren, wie es beim Vorbeisausen eines schnellen, schwerbeladenen Eisenbahnzuges entsteht; dies und nacktes Entsetzen, in dessen Heftigkeit etwas von gelassener Resignation steckte.
    Das Ende ist nah. Töne und visuelle Eindrücke gingen auf in einem ungeheuren, chaotischen Mahlstrom tödlicher, lärmender Drohung, in dem all die gespenstischen und grausigen Vier-Uhr-Ziffern, die es gab, seit Vorzeiten verschmelzen und auch die, die es bis in die künftige Ewigkeit geben wird. Das flammenzüngelnde Ungeheuer kommt jetzt ganz nahe, seine Leichenhaustentakel fahren mir über das Gesicht, und seine Krallen tasten, hungrig gekrümmt, nach meiner Kehle. Endlich kann ich sein Antlitz durch die sich heftig bewegenden, phosphoreszierenden Dämpfe der Friedhofsluft erkennen, und unter entsetzlichen Gewissensbissen wird mir klar, daß es sich um den Inbegriff einer gräßlichen, ungeheuren,
    wasserspeierähnlichen Karikatur seines Gesichts handelt - das Gesicht desjenigen, aus dessen unruhigem Grab es aufgestiegen ist. Nunmehr erkenne ich, daß mein Untergang fürwahr besiegelt ist, daß die wilden Drohungen des Verrückten in der Tat die dämonischen Verwünschungen eines mächtigen Teufels waren und meine Unschuld mich nicht vor dem bösartigen Willen schützen wird, der nach grundloser Rache lechzt. Er ist entschlossen, mir mit Zinsen zurückzuzahlen, was er in jener gespenstischen Stunde erlitten hat, entschlossen, mich aus der Welt zu zerren in Regionen, die allein die Wahnsinnigen und vom Teufel Gerittenen kennen.
    Und als inmitten der zischenden Höllenflammen und des Lärms der Verdammten diese scharfen Klauen mörderisch auf meine Kehle weisen, höre ich auf dem Kaminsims das schwache Schwirren eines Zeitmessers, das Schwirren, das mir verrät, daß bald die Stunde schlägt, deren Name jetzt unaufhörlich aus dem todesgleichen und höhlenartigen Rachen des rasselnden, höhnenden, krächzenden Gruftungeheuers vor meinen Augen fließt - die verfluchte Teufelsstunde vier Uhr.

Die geliebten Toten
    C. M. Eddy jr. und H. P. Lovecraft

    Es ist Mitternacht. Ehe der Morgen graut, wird man mich finden und in eine finstere Zelle schleppen, wo ich endlos dahinvegetieren soll, während unstillbare Gelüste an meinen Lebensgeistern zehren und mir das Herz verdorren, bis ich zuletzt mit den Toten eins werde, die ich so liebe.
    Mein Platz ist eine stinkende Vertiefung in einem alten Grab, als Schreibtisch dient mir die Rückseite eines umgestürzten Grabsteins, den der Zahn der Zeit glattgeschliffen hat; mein einziges Licht ist das der Sterne und einer dünnen Mondsichel, und doch kann ich so deutlich sehen, als wäre es heller Tag.
    Auf allen Seiten rings um mich halten Grabsäulen Wache über vernachlässigten Gräbern, halb umgestürzte, verwahrloste Grabsteine liegen fast verborgen in Unmengen widerlicher, verfaulter

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