Azathoth - Vermischte Schriften
ich, daß mehr als eines der Wesen von solcher Größe ist, und ich weiß nunmehr, daß das dritte Aklo-Ritual - das ich gestern in dem Buch in der Dachstube entdeckt habe - ein solches Wesen materiell und sichtbar machen würde. Ob ich mich an diese Materialisierung wagen werde, bleibt abzuwarten. Die Gefahren sind groß.
Letzte Nacht begann ich in den dunklen Winkeln der Säle und Gemächer flüchtige Schattengesichter und formen zu erspähen -
Gesichter und Formen, die so entsetzlich und abscheulich sind, daß ich nicht wage, sie zu beschreiben. Sie scheinen der Substanz nach mit der Riesenpfote verwandt zu sein, die mich vorletzte Nacht die Stufen hinunterzustoßen suchte. Es muß sich um Phantome meiner gestörten Phantasie handeln. Was ich suche, ähnelt diesen Dingen nicht ganz. Ich habe die Pfote neuerlich gesehen, manchmal allein und zuweilen mit ihren Gefährten, aber ich bin entschlossen, derartige Erscheinungen nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Am frühen Nachmittag habe ich erstmals den Keller erforscht, indem ich eine Leiter hinunterstieg, die ich in einem Lagerraum gefunden hatte, denn die Holzstufen waren verfault. Der ganze Ort ist eine Masse nitröser Verkrustungen, amorphe Erhebungen markieren die Stellen, wo verschiedene Gegenstände sich zersetzt haben. Am entgegengesetzten Ende befindet sich ein enger Durchgang, der sich unter dem nördlichen »L« zu erstrecken scheint, wo ich den kleinen versperrten Raum fand.
An seinem Ende gibt es eine massive Backsteinwand mit einer versperrten Eisentür. Diese Mauer und diese Tür, die offenkundig zu einem Gewölbe gehören, tragen Anzeichen, die darauf hinweisen, daß es sich um Handwerksarbeit aus dem 18.
Jahrhundert handelt, die zur selben Zeit wie die ältesten Anbauten zu dem Haus entstanden sein müssen - eindeutig vor der Revolution. Auf dem Schloß, das offenkundig älter ist als das übrige Eisenzeug, sind gewisse Symbole eingraviert, die ich nicht entziffern kann.
V-- hatte mir von diesem Gewölbe nichts gesagt. Es erfüllt mich mit größerer Unruhe als alles, was ich gesehen habe, denn jedesmal, wenn ich mich ihm nähere, verspüre ich den beinahe unwiderstehlichen Drang, auf etwas zu lauschen. Bislang haben keine unheilvollen Töne meinen Aufenthalt an diesem bösen Ort markiert. Als ich den Keller verließ, wünschte ich mir fromm, die Stufen wären noch da, denn das Erklimmen der Leiter schien aufreibend langsam vor sich zu gehen.
Ich möchte nicht mehr dort hinuntersteigen - und doch treibt mich irgendein böser Geist an, es nachts zu versuchen, wenn ich herausfinden möchte, was es herauszufinden gibt.
20. April Ich habe die Tiefen des Grauens anklingen lassen -
nur damit mir noch tiefere Tiefen bewußt wurden.
Letzte Nacht war die Versuchung zu groß, und in den dunklen frühen Nachtstunden stieg ich noch einmal mit der
Taschenlampe in den nitrösen, höllischen Keller hinab und ging auf Zehenspitzen zwischen den formlosen Haufen zu jener entsetzlichen Ziegelwand und der verschlossenen Tür. Ich verursachte kein Geräusch und nahm davon Abstand, irgendeine der mir bekannten Beschwörungen zu flüstern, doch lauschte ich mit angespannter Konzentration.
Schließlich hörte ich Töne hinter diesen verschlossenen Platten aus Eisenblech, das bedrohliche Umherstapfen und Gemurmel wie von riesigen Nachtwesen im Inneren. Dazu gesellte sich ein gräßliches Gleiten, als schleppte eine ungeheure Schlange oder ein Meeresungetüm den enormen Leib über einen Fliesenboden. Vor Schreck beinahe gelähmt, starrte ich auf das riesige verrostete Schloß und die fremdartigen, kryptischen Hieroglyphen, die es trug. Es handelte sich um Zeichen, die ich nicht erkennen konnte, und etwas an ihrer vage ans Mongolische erinnernden Technik wies auf ein gotteslästerliches und unbeschreibliches Alter hin. Zuweilen bildete ich mir ein, ich könnte sie in einem grünlichen Schein leuchten sehen.
Ich wandte mich um zu fliehen, entdeckte aber vor mir das Trugbild der Riesenpfoten. Die großen Krallen schienen zu wachsen und beim Hinsehen greifbarer zu werden. Sie erstreckten sich aus der scheußlichen Schwärze des Kellers herauf, mit schattenhaften Andeutungen schuppenbedeckter Gelenke dahinter. Ein zunehmend bösartiger Wille leitete ihr entsetzliches Herumtasten. Und dann hörte ich hinter mir -
innerhalb jenes abscheulichen Gewölbes - einen neuen Ausbruch gedämpfter Schwingungen, die von weiten
Horizonten wie ein ferner Donner widerzuhallen schienen.
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