Azathoth - Vermischte Schriften
war.
Damals war sie schon ein altes Gebäude, und zweifellos ist sie inzwischen aufgelassen oder abgerissen worden. Die Schulverwaltung ist inzwischen in Ordnung gebracht, aber zu jener Zeit waren die Mittel für die Erhaltung der Schule höchst mickrig, an allen Ecken und Enden wurde gespart und gestrichen.
Als ich dorthin kam, um zu unterrichten, war McGuffeys Eclectic Reader noch immer das Standardlehrbuch, noch dazu in Ausgaben, die aus der Zeit vor der Jahrhundertwende stammten.
Ich hatte 27 Schützlinge. Es gab Allens und Whateleys und Perkinsens, Dunlocks und Abbots und Talbots - und Andrew Potter gehörte auch dazu.
Ich kann mich jetzt nicht mehr an die genauen Umstände erinnern, wie Andrew Potter meine Aufmerksamkeit erregte. Für sein Alter war er ein großer Junge, von sehr dunkler Gesichtsfarbe, mit dem Blick eines Gejagten und einem Schöpf zerzausten schwarzen Haares. Seine Augen musterten mich mit einer Eigentümlichkeit, die mich zuerst herausforderte, aber schließlich seltsam unbehaglich stimmte. Er war in der fünften Klasse, und ich entdeckte sehr rasch, daß er leicht in die siebente oder achte hätte vorrücken können, er bemühte sich jedoch nicht darum. Seine Schulkameraden schien er gerade noch zu dulden, und sie ihrerseits respektierten ihn, aber nicht so sehr aus Zuneigung, sondern aus Furcht, wie es mir bald schien. Bald danach ging mir auf, daß dieser merkwürdige Junge für mich dieselbe Art amüsierter Duldung zeigte, die er seinen Schulkameraden entgegenbrachte.
Es war wohl unausweichlich, daß die Herausforderung durch diesen Schüler dazu führte, daß ich ihn so verstohlen wie möglich beobachtete und wie es mir die Umstände in einer Schule erlaubten, die aus nur einem Raum bestand. Dabei fiel mir ein vage beunruhigender Umstand auf. Von Zeit zu Zeit reagierte Andrew Potter auf einen Reiz, der die Wahrnehmung meiner Sinne überstieg. Er benahm sich genauso, als habe ihn jemand gerufen, richtete sich auf, wurde wachsam und verhielt sich wie jemand, der auf Geräusche lauschte, die mein eigenes Gehör überstiegen, in der gleichen Haltung, die Tiere zeigen, wenn sie Geräusche hören, die jenseits der Hörschwelle des menschlichen Ohres liegen.
Da meine Neugier stetig gewachsen war, ergriff ich die erste Gelegenheit, darüber Erkundigungen einzuziehen. Einer der Jungen aus der achten Klasse, Wilbur Dunlock, hatte die Gewohnheit, gelegentlich nach der Schule zu bleiben und bei dem allgemeinen Aufräumen zu helfen, das erforderlich war.
»Wilbur«, sagte ich an einem Spätnachmittag zu ihm. »Mir fällt auf, daß ihr euch nicht viel um Andrew Potter zu kümmern scheint, keiner von euch. Warum?.
Er sah mich an, ein bißchen mißtrauisch, und überlegte sich die Antwort, ehe er mit den Schultern zuckte und erwiderte: »Er ist nicht wie wir.«
»Weshalb?.
Er schüttelte den Kopf. »Es ist ihm egal, ob wir ihn mit uns spielen lassen oder nicht. Er will nicht..
Er schien nur widerstrebend sprechen zu wollen, aber durch hartnäckiges Fragen entlockte ich ihm ein paar spärliche Informationen. Die Potters lebten tief in den Bergen, westlich einer fast aufgegebenen Abzweigung der Hauptstraße, die durch die Berge führte. Ihre Farm stand in einem kleinen Tal, das bei den Einheimischen als »Hexenloch« bekannt war und das Wilbur einen »schlimmen Ort« nannte. Die Potters waren nur zu viert - Andrew, eine ältere Schwester und ihre Eltern. Sie
»verkehrten« nicht mit den anderen Leuten des Bezirks, nicht einmal mit den Dunlocks, die ihre nächsten Nachbarn waren und nur eine halbe Meile von der Schule entfernt wohnten, vielleicht vier Meilen vom Hexenloch.
Zwischen den beiden Farmen erstreckte sich ein Wald.
Mehr konnte - oder wollte - er nicht sagen.
Etwa eine Woche später bat ich Andrew Potter, nach dem Unterricht zu bleiben. Er erhob keinen Widerspruch, sondern schien meine Bitte für selbstverständlich zu halten. Sobald die anderen Kinder gegangen waren, kam er nach vorn zum Katheder und blieb wartend stehen, die dunklen Augen erwartungsvoll auf mich gerichtet, nur den Schatten eines Lächelns auf den vollen Lippen.
»Ich habe mir deine Noten angesehen, Andrew«, sagte ich,
»und es scheint, daß du bei ein bißchen Anstrengung in die sechste Klasse vorrücken könntest, vielleicht sogar in die siebente. Wäre das nicht der Mühe wert?«
Er zuckte die Schultern.
»Was hast du nach der Schule vor?.
Er zuckte wieder die Schultern.
»Wirst du die High School in
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