AZRAEL
schöpfte Bremer noch einmal Hoffnung, denn Sendig hatte sichtlich Mühe, mit der Fernb e dienung zurechtzukommen; auf der Mattscheibe war nur weißes Rauschen.
»Scheißtechnik«, fluchte Sendig. »Da fliegen sie zum Mond und demnächst zum Mars, aber noch keiner hat eine Fernbedienung erfunden, zu deren Bedienung man keinen akademischen Grad braucht!«
»Wir sollten das ganze Zeug mitnehmen und uns zu Hause ansehen«, sagte Bremer. »Mit
meinem Recorder komme ich klar.«
»Und ich mit diesem Scheißding, und wenn es das letzte ist, was ich tue!« versprach Sendig. Er drückte verbissen weiter auf Knöpfe und Tasten, und plötzlich machte das grauweiße Flimmern auf der Mattscheibe einem Bild Platz.
»Na also!« sagte Sendig triumphierend. »Was haben wir denn da?«
Bremer schwieg. Im ersten Moment erkannte er gar nichts, denn das Band war entweder sehr alt und unzählige Male abgespielt worden oder mit der miserabelsten Kamera aufgenommen, von der er je gehört hatte. Aber nach ein paar Augenblicken wurde die Qualität besser; die grauen Schlieren auf dem Bildschirm gerannen zu den Umrissen eines winzigen, weißgestrichenen Raumes, der von einer Position hoch oben unter der Decke aus aufgenommen worden war. Soweit Bremer erkennen konnte, hatte er kein Fenster, und die Einrichtung bestand lediglich aus einem Bett und einer modernen, aber einfachen Waschgelegenheit. Auf dem Bett saß eine schlanke Gestalt, eine junge Frau oder ein Mädchen, die ein einfaches weißes Nachthemd trug. Sie hatte die Beine unter den Körper gezogen und den Kopf gesenkt, so daß ihr Gesicht nicht zu erkennen war.
»Was ist denn das? « murmelte Sendig.
»Ein Krankenzimmer«, antwortete Bremer überflüssigerweise. Seine Zunge war plötzlich trocken. Er hatte Mühe, zu sprechen. Warum beunruhigte ihn dieses Bild so? Es war so banal, wie es nur sein konnte. Und trotzdem beunruhigte es ihn.
Ein Schatten bewegte sich auf dem Bild, und eine halbe Sekunde später trat der dazugehörige Körper in den Aufnahmebereich der Kamera.
»Holla«, sagte Sendig. »Wissen Sie, wer das ist?«
»Nein«, antwortete Bremer.
»Professor Artner höchstpersönlich.«
Arm tn r. Bremer konnte selbst nicht sagen, warum, aber die Erkenntnis machte aus dem Gefühl vager Beunruhigung eine nicht annähernd so vage Angst.
Einzig, um diesem unwirklichen Gefühl Einhalt zu gebieten und überhaupt etwas zu sagen, räusperte er sich und sagte in einem Ton, der nicht einmal annähernd seine wirklichen Gefühle widerspiegelte: »Sieht so aus, als hätten Sie heute Pech, Sendig. Keine Kinderpornos.«
Sendig lachte unecht, und im gleichen Moment hob das Mädchen auf dem Bett den Kopf. Und als Bremer in ihr Gesicht sah und es erkannte, da wünschte er sich fast, sie hätten das gefunden, was Sendig sich erhofft hatte.
22. Kapitel
D ie Kellnerin stellte das Tablett mit Eiscafé und Cola zwi schen Beate und Mark auf den Tisch und bestand darauf, gleich zu kassieren. Das hatte sie die beiden Male zuvor auch schon getan, und Mark fand jetzt wirklich keinen plausiblen Grund dafür. Es konnte kaum daran liegen, daß sie seine Zahlungskraft anzweifelte; er hatte ganz bewußt mit einem großen Schein bezahlt und ein schon fast übertriebenes Trinkgeld gegeben. Trotzdem war sie weder freundlicher noch schneller geworden. Sie strich den Betrag auch diesmal kommentarlos ein und ging, und das auf eine Art, die Mark klarmachte, daß sie es wesentlich lieber gesehen hätte, wenn er gegangen wäre.
»Du scheinst heute deinen Pechtag zu haben«, sagte Beate. Die finsteren Blicke, die Mark der Bedienung nachschickte, waren ihr nicht entgangen.
Wenn du wüßtest, wie recht du hast! dachte Mark. Laut und mit einem schmerzlichen Verziehen der Lippen sagte er: »Vor allem, wenn man bedenkt, daß heute eigentlich mein Geburtstag ist.«
»Ja.« Beate griff nach ihrem Glas, aber sie nippte nur daran. »Was mich zu einer Frage bringt, die einer von uns allmählich stellen muß, fürchte ich. Hast du dir überlegt, wie wir ihn feiern? Ich meine«, sie machte eine Kopfbewegung auf das Glas in ihrer Hand, »noch ein Eiscafe, und ich platze.«
»Und die Kellnerin hetzt mir die Mafia auf den Hals, ich weiß«, seufzte Mark. »Entschuldige.«
»Wofür?«
»Na ja - ich habe dich eingeladen, meinen Geburtstag mit mir zu feiern. Und jetzt langweile ich dich zu Tode.«
»Ganz so schlimm ist es noch nicht«, antwortete Beate. »Aber es ist schade um den freien Tag. Ich habe nur einen pro
Weitere Kostenlose Bücher