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AZRAEL

AZRAEL

Titel: AZRAEL Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hatte, sagte sie: »Du hast recht. Wir sollten darüber reden.«
    Aber mit einem Male wollte er das gar nicht mehr. Es hatte nichts mit ihr zu tun. Von allen Menschen, die er kannte - Prein vielleicht einmal ausgenommen, aber der war unerreichbar weit fort -, war sie der einzige, dem er sein düsteres Geheimnis hätte anvertrauen können. Aber darüber zu reden hätte auch bedeutet, die Geister der Vergangenheit endgültig zu wecken. Er würde es müssen, wollte er jemals damit fertig werden. Um den Gespenstern ihren Schrecken zu nehmen, mußte er ihnen erst Gesicht und Gestalt verleihen. Aber nicht jetzt. Nicht heute. Es war zuviel für einen einzigen Tag.
    »Ich glaube nicht, daß es... der richtige Moment ist«, sagte er stockend.
    »Was war es?« fragte Beate. »Ein Unfall?«
    »Was?« Mark brauchte eine Sekunde, um Beates Gedankengang zu folgen. Dann schüttelte er übertrieben heftig den Kopf. »Oh nein, so einfach ist es leider nicht.«
    »Es hat irgend etwas mit deiner Mutter zu tun«, vermutete Beate. »Laß mich raten: Es ist der gleiche Grund, aus dem sie in der Klinik ist.«
    »Gut kombiniert«, sagte Mark. »Aber falsch.«
    »Sie hatte einen schweren Nervenzusammenbruch, und du hast die Schule abgebrochen und besuchst seither ein Internat in der tiefsten Provinz«, fuhr Beate fort. »Und das alles innerhalb desselben Monats. Was für ein Zufall.«
    »Du bist ziemlich gut informiert«, sagte Mark.
    Beates Lächeln wurde ein wenig kühler. »Stimmt«, bestätigte sie. »Vielleicht hat dein Vater ja recht, und ich bin wirklich hinter eurem Geld her. Immerhin - dein Vater dürfte zu den zwanzig vermögendsten Männern dieser Stadt gehören. Natürlich habe ich mich informiert.«
    »Entschuldige«, sagte Mark. Er streckte wieder die Hand nach ihr aus, aber diesmal wich sie vor ihm zurück und machte eine heftige, abwehrende Geste.
    »Ich hatte den ganzen Tag Zeit, mich zu informieren«, fuhr sie fort. »Es war nicht sehr schwierig. Eure Familie ist ziemlich bekannt. Außerdem sind die Daten deiner Mutter im Computer der Klinik gespeichert.«
    «Hör auf!« sagte Mark. »Es tut mir leid. Ich... ich wollte das nicht sagen. Wirklich. Ich...«
    »Du bist ganz schön kaputt, weißt du das eigentlich?« fragte Beate.
    Mark schwieg. Es hätte natürlich eine Menge zu sagen gegeben, aber mit großer Sicherheit wäre es wieder auf dasselbe hinausgelaufen, womit heute alles zu enden schien, was er begann.
    »Es gibt noch eine andere Möglichkeit, weißt du?« fuhr Beate fort. »Ich arbeite zwar noch nicht lange in der Klinik, aber immerhin lange genug. Ich kenne deine Mutter. Und ich mag sie - wie übrigens fast alle bei uns. Sie ist eine sehr liebenswerte Frau.«
    »Bitte hör auf«, sagte Mark noch einmal. »Es tut mir leid. Ich habe mich wie ein Idiot benommen.«
    »Ja«, antwortete Beate. »Das hast du.« Sie sah ihn noch eine Sekunde lang auf die gleiche undeutbare Art an wie zuvor, dann drehte sie sich herum und begann langsam die Straße hinunterzugehen. Mark zögerte noch einen Moment, ehe er ihr folgte, sie mit zwei, drei raschen Schritten einholte und dann neben ihr herging.
    »Du hattest unrecht«, sagte er leise. »Ich bin nicht dabei, diesen Tag zum schlimmsten meines Lebens zu machen. Ich fürchte, er ist es schon.«
    »Soll ich ihn noch ein bißchen schlimmer machen?« fragte Beate.
    »Ich glaube kaum, daß du das kannst«, antwortete Mark. Irgendwo hinter ihnen wurde ein Wagen angelassen, aber ansonsten war es fast unheimlich still. Selbst der monotone Techno-Rhythmus aus dem HADES blieb schon nach wenigen Schritten hinter ihnen zurück.
    »Wer weiß«, sagte Beate. »Und wenn ich dir jetzt sagen würde, daß dein Vater recht hat?«
    »Dann wäre es mir egal«, antwortete Mark impulsiv. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Sagst du es denn?«
    Beate lachte kurz. »Weißt du was, Mark? Du tust wirklich alles, um die Dinge schlimmer zu machen. Wußtest du, daß in jedem Menschen der Drang zur Selbstzerstörung steckt? Ich glaube, du hast gerade einen ziemlich heftigen Anfall davon.«
    Sie gingen eine ganze Weile schweigend nebeneinander her, dann sagte Mark: »Aber ich habe es ernst gemeint. Es wäre mir wirklich egal.«
    »Heute«, sagte Beate. »Morgen vielleicht auch noch. Und dann?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß wir dieses Gespräch fortsetzen sollten. Begleitest du mich noch bis zur U-Bahn?«
    »Ich habe mich entschuldigt, oder?« fragte Mark – natürlich schon wieder in

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