AZRAEL
betont. »Diesen Mogrod? Wer war er?«
»Eine Ratte«, antwortete Sendig. »Ein Fotoreporter - jedenfalls nannte er sich selbst so. Aber nicht unbedingt eine Zierde seines Berufsstandes. Ich konnte den Kerl nicht ausstehen. Schon vorher nicht.«
Damit hatte Mogrod sich wahrscheinlich in der Gesellschaft des allergrößten Teiles der übrigen Menschheit befunden, dachte Bremer. Er gab sich ja alle Mühe, Sendig irgend etwas Positives abzugewinnen, aber es gelang ihm immer weniger. Sendig hatte Mogrod nicht leiden können? Und? Bremer bezweifelte mittlerweile allen Ernstes, daß Sendig sich selbst leiden konnte. Sie erreichten das zweite Stockwerk, und als sie die dritte Treppe hinaufgingen, fragte Sendig unvermittelt: »Erinnern Sie sich, was ich Ihnen heute morgen erzählt habe? Daß damals nach der Geschichte mit Sillmann eine Menge Leute plötzlich Karriere gemacht haben?«
Wie du selbst? » Ja.«
Sendig sah ihn an, als hätte er seine Gedanken gelesen , run zelte vielsagend die Stirn und fuhr in hörbar kühlerem Ton fort: »Mogrod gehörte dazu.«
»Mogrod?« Bremer wäre vor Überraschung stehengeblieben, wäre ihm nicht im allerletzten Moment die Erkenntnis gekommen, daß ein Innehalten nur eine unnötige zusätzliche Verzögerung bedeuten würde.
»Mogrod«, bestätigte Sendig. »Ich weiß, es sieht nicht so aus, aber damals war er ganz oben. Für eine Weile wenigstens. Aber ich schätze, ihm ist die Höhenluft nicht bekommen. Scheint, als wäre er zweimal ziemlich tief gefallen. Das erste Mal vor drei oder vier Jahren.«
»Hm«, machte Bremer. Sendigs aufgesetzte Wortspielchen gingen ihm allmählich auf die Nerven. »Sie meinen, er hat es nicht geschafft.«
»Genau das meine ich«, bestätigte Sendig. »Eine Weile war er die Nummer eins. Die besten Aufträge, gutes Geld – und ich schätze, jemanden, der die Hände über ihn gehalten hat.«
»Und dann?« fragte Bremer.
»Keine Ahnung«, behauptete Sendig. Sie durchquerten einen weiteren schummerigen Flur, auf dem es zwar eine B e leuchtung gab, aber keine offenstehenden Türen mehr, so daß es fast dunkler war als unten. Aus einer der Wohnungen, an denen sie vorüberkamen, drang ein solches Geschrei, daß Bremer ganz automatisch im Schritt innehielt und wahrscheinlich geklingelt hätte, hätte ihn Sendig nicht mit einem spötti sch en Blick und einer entsprechenden Geste davon abgehal ten. Wieder auf der Treppe, setzte er den angefangenen Satz fort, als hätte es gar keine Unterbrechung gegeben:
»Ich habe ihn aus den Augen verloren, wenigstens für eine Weile. Aber man hört ja das eine oder andere. Ich schätze, es war die normale Geschichte. Alkohol, Frauen, Angabe... Sie kennen das. Eine Ratte bleibt eine Ratte, auch wenn Sie sie in einen Maßanzug stecken. Irgendwann kehrt sie ganz von selbst dorthin zurück, wo sie hingehört.«
Bremer zog es vor, nichts dazu zu sagen. Sendigs Worte machten ihn zornig. Er hatte diesen Mogrod nicht gekannt, aber es machte ihn einfach wütend, daß er so über ihn sprach. Ganz egal, was er getan hatte oder nicht, er lag jetzt tot drei - nein, mittlerweile fast vier - Stockwerke unter ihnen auf der Straße, und das sollte genügen, ihm ein Mindestmaß an Respekt entgegenzubringen. Statt direkt auf Sendigs Worte einzugehen und über Mogrod zu reden, fragte er betont: »Finden Sie nicht, daß es langsam an der Zeit wäre, mir zu erklären, was damals wirklich passiert ist?«
Sendig blieb drei Stufen vor Erreichen des vierten Stockwerkes stehen und sah ihn lange genug durchdringend an, daß Bremer in Gedanken bis drei zählen konnte. Dann schüttelte er den Kopf.
»Nein. Noch nicht.«
Es fiel Bremer jetzt wirklich schwer, sich noch zu beherrschen. Er wußte auch gar nicht mehr, ob er es wirklich noch wollte. »Noch nicht?« wiederholte er. »Und wann ist noch vorbei?«
»Wenn ich Gewißheit habe«, antwortete Sendig.
»Gewißheit worüber?«
Sendig lächelte matt. »Zum Beispiel, ob ich diese verdammte Treppe jemals schaffe, ohne einen Herzinfarkt zu erleiden. Kommen Sie, Bremer. Endspurt.«
Er ging weiter, die ersten Schritte so schnell, als wollte er tatsächlich einen Endspurt einlegen, so daß Bremer gar nicht dazu gekommen wäre, ihn festzunageln, auch wenn er es versucht hätte. Aber vermutlich hätte ihm sowieso der Atem dafür gefehlt. Die letzte Nacht forderte immer nachdrücklicher ihren P reis. Sein Herz jagte, als hätte er eine Stunde Freihandklettern hinter sich, als sie endlich das
Weitere Kostenlose Bücher