Azrael
bevor ich den durchführte, sollte er so leiden wie ich und diejenige verlieren, die er liebte.«
Sophies Augen verengten sich. Dahinter steckten zu viele Rätsel. Und sie hatte es satt, ständig im Dunkeln zu tappen. »Das verstehe ich nicht.« In ihrer Stimme schwang die Ahnung eines Gewittersturms mit. Sie war wütend, weil der Vampir sie aus Azraels Armen gerissen hatte. Und sie sorgte sich um Azraels Sicherheit, denn die Monster am Strand hatten nicht besonders freundlich ausgesehen.
Der Mann in Weiß hob die Brauen. Ob er beeindruckt oder amüsiert war, konnte sie nicht feststellen. Während er sie schweigend betrachtete, schnürte sich ihr die Kehle zu.
Schließlich holte er tief Atem und ging im Raum auf und ab, ehe er sich ihr wieder zuwandte. »Vor vielen, vielen Jahren verliebte ich mich in eine Sterbliche«, begann er, und seine Stimme nahm einen sanfteren Klang an. »Sie hieß Amara.« Wehmütig lächelte er und erschien Sophie in diesem Moment nicht mehr beängstigend, sondern menschlich. Traurig. Doch das änderte sich sofort, denn er lachte bitter. »Der Name bedeutet ›ewig‹, eine unglückselige Ironie. Weil sie nicht ewig leben konnte.« Er ging wieder auf dem glatten Marmorboden umher. Leise schlugen seine weißen Schuhe auf den Stein. »Als Wesen aus höheren Gefilden durften wir uns nicht mit den Sterblichen auf Erden einlassen. Der Alte Mann fand sie wertlos, und wir sollten nicht von ihrem launischen Geist beeinflusst werden.«
Der Alte Mann, dachte Sophie. Also stammt Gregori aus denselben Gefilden wie die Engel.
Nun blieb er stehen. Seine Augen schienen Sophie zu durchbohren, und ihr stockte der Atem. »O ja, Miss Bryce, wir stammen aus den Gefilden der Engel.« Er lächelte grimmig. »Schon lange vor den Erzengeln wurden wir erschaffen. Lange vor den Adarianern …« Abrupt verstummte er, beklemmendes Schweigen erfüllte den Raum, bevor er hinzufügte: »Wir waren die Ersten.«
Ich hab’s geschafft. Ein schlichter, aber erlösender Gedanke. Schon lange hatte Azrael nicht mehr so hart kämpfen müssen, nur um zu überleben. Wer oder was immer Gregori war – er meinte es ernst. Nicht einmal Samael hatte die Erzengelbrüder so brutal attackiert.
Als Az aus den Schatten ins Foyer des Herrenhauses trat, war das Feuer des roten Drachen nur mehr wenige Zentimeter von seinem Herzen entfernt, und es war pures Glück, dass Michael sofort ins Herrenhaus zurückgekehrt war, nachdem Az Sophie aus ihrem Apartment geholt hatte. An so vielen anderen Orten hätte der einstige Krieger sein können, und Azrael wäre zu schwach gewesen, um ihn noch aufzuspüren.
Taumelnd schleppte Az sich durch den Türbogen ins Wohnzimmer, wo er alle drei Brüder, Eleanore, Juliette und Max antraf.
Einige hielten dampfende Teetassen in den Händen, alle wirkten besorgt – und sehr müde nach den langen, anstrengenden Tagen.
Sofort sprang Michael auf, eilte Az entgegen, und Gabriel folgte ihm. Gemeinsam führten sie ihn zur nächstbesten Couch, von der Uriel die Kissen entfernte, um Platz zu machen.
»Du siehst schrecklich aus«, murmelte Gabe.
Stöhnend sank Azrael in die Polster. Feuriges Gift fraß ihn bei lebendigem Leib auf, mehrere Wunden, von den Phantomen aufgerissen, waren noch nicht verheilt.
Nachdem Mike ihn kurz gemustert hatte, nickte er grimmig, kniete nieder und legte ihm seine Hände auf den Bauch. Von neuen Schmerzen gequält, unterdrückte Az einen Fluch.
»Wo ist Sophie?«, fragte Max und trat zu ihnen. Michael schloss die Augen, um sich zu konzentrieren.
»Keine Ahnung, Abraxos hat sie entführt«, keuchte Azrael.
»Verdammt!«, stieß Gabriel hervor. »Schon wieder?«
In seiner Konzentration gestört, hob Mike die Lider.
»Damit hilfst du ihm nicht«, mahnte Uriel leise, und Max warf Gabe einen warnenden Blick zu. Da hielt Gabriel den Mund. Aber seine Silberaugen blitzten.
»Komm, Schätzchen«, sagte Juliette zu Eleanore. Beide Sternenengel knieten neben Michael nieder.
»Sicher brauchst du uns«, meinte Ellie.
Dankbar nickte Mike, und alle drei neigten sich zu Az, der seinen Bruder anstarrte. Schnell, bitte, flehte er wortlos. Oder ich verliere ihre Spur.
Michael schloss wieder die Augen, seine Hände begannen zu glühen. Auch die Sternenengel berührten den Verletzten. Az legte den Kopf auf die Armstütze des Sofas und wappnete sich gegen den Schmerz, den ihm die Genesung bereiten würde. Seit dem Angriff des Gespensts hatte er in keinen Spiegel geschaut. Aber er spürte
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