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Azrael

Azrael

Titel: Azrael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Killough-Walden
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gegenüberstehen.
    Nach ein paar nervenaufreibenden Sekunden fühlte er, wie seine Magie einen unsichtbaren Tunnel schuf, trat hinein, und die anderen eilten hinterher.

34
    Wir waren die Ersten …
    In Sophies Gehirn hallten die Worte wider, und sie starrte den Mann in Weiß an. So viele Fragen brannten ihr auf der Zunge. »Wir?« Aus irgendeinem Grund glaubte sie nicht, dass er die Anwesenden meinte.
    »Wir waren Hunderte«, erklärte Gregori. »Die Adarianer halten sich für die ersten Erzengel. Aber sie irren sich. Meine Brüder und ich bildeten ein starkes Heer.« Als er sich zu einem Fenster wandte und auf die Landschaft blickte, änderte sie sich. Gestalten tauchten auf, der Rauch von tausend Feuern verdüsterte den Himmel.
    Atemlos beobachtete Sophie eine wilde Schlacht zwischen grausigen Monstern und geflügelten Männern in schimmernder Rüstung – eine apokalyptische Vision, zum Leben erwacht.
    »Unablässig fochten wir die Kämpfe des Alten Mannes aus. Unermüdlich. Und warum?« Gregori schaute über seine Schulter und lächelte bitter. »Weil er es uns befahl.« Er wandte sich wieder zum Fenster, und die Szenerie änderte sich erneut.
    Statt der öden Landschaft und des schwarz-roten Himmels erschienen üppige Wälder. Ein Fluss wand sich durch ein grünes Tal, und Sophie glaubte Wasser über glatte Steine plätschern zu hören. Am Ufer saßen Gestalten in fließenden Roben, zu weit entfernt, um genauer betrachtet zu werden. Neugierig näherte sie sich dem Fenster, und da sah sie glänzende lange Haare in verschiedenen natürlichen Farbtönen. Lauter Frauen! Gemächlich pflückten sie gelbe Löwenzahnblüten und reichten sie den Männern, die hinter ihnen standen. Diese Männer hatte Sophie zuvor auf dem Schlachtfeld gesehen. Die Flügel auf dem Rücken gefaltet, trugen sie keine Rüstung mehr.
    »Eines Tages führten uns die Kämpfe auf die Erde«, berichtete Gregori. »Hier entzückte uns das schönere menschliche Geschlecht. Viele Engel verliebten sich.« Nun drehte er sich zu Sophie, seine eiskalten Augen ließen sie frösteln. »Auch ich.«
    Hinter ihm änderte sich das Bild. Sie sah einen dunklen Nachthimmel, Wolken barsten und sandten Blitze zur Erde. Im strömenden Regen schwoll der Fluss an. Ein wilder Sturm fällte Bäume, zahllose Leute rannten davon und versuchten sich in Sicherheit zu bringen. Über dem Land lag eine hoffnungslose, bedrohliche Atmosphäre, die Sophie ängstlich und traurig stimmte.
    Gregori beobachtete sie, während das Bild alle Farben verlor und schließlich verschwand. »An jenem Tag bestrafte er uns und verbannte uns auf die Erde«, fuhr er achselzuckend fort. »Den meisten machte das nichts aus. Wir wollten ohnehin bei unseren Liebsten bleiben. Aber zu der Strafe gehörte auch, dass wir unsere Heilkraft zum Teil verloren. Nur mehr uns selbst konnten wir heilen. Hilflos mussten wir mit ansehen, wie unsere Frauen alterten und starben.«
    In der Finsternis vor dem Fenster wurde eine Kerze entzündet. Dann noch eine und noch eine, und die Flammen erhellten ein letztes Bild. Nun standen die Engel vor Gräbern, die auf verschiedene Arten geschmückt waren – mit Girlanden, Blumensträußen und Obstkörben. Gregori stand beim vordersten Grab. Sophie erkannte ihn am pechschwarzen Haar und seinem hohen Wuchs. Anscheinend hatten sich seine Flügel schwarz gefärbt, denn sie verschmolzen mit der Nacht. Rings um seine Füße und auf dem Grabhügel wucherte schwarzer Löwenzahn.
    »Natürlich gab ich dem Alten Mann die Schuld an unserem Unglück. Aber eine Zeit lang auch Azrael. Meine Rache wäre einfacher gewesen, hätte ich meinen ursprünglichen Plan verwirklicht und Sie früher getötet, Sophie. Aber der Todesengel sollte den Verlust erleiden, der mich seit Jahrtausenden quält. Dazu musste er Ihnen begegnen und sich in Sie verlieben, bevor ich Sie ihm wegnahm.«
    Sophie starrte durch das Fenster ins Dunkel, dachte an ihr Leben, an den Mord, den sie begangen und für den sie nicht hatte büßen müssen. Das war Gregoris Werk gewesen, ein Teil seines Racheplans.
    Weil er die Frau verloren hatte, die er verzweifelt liebte.
    Jetzt entstand wieder die öde Winterlandschaft vor dem Fenster, im Morgensonnenschein. Sophies Kehle verengte sich. Beinahe musste sie würgen. Ihr Kopf schmerzte, ihre Brust schmerzte.
    »Alles hat Amara mir bedeutet.« Gregoris schwarze Sternenpupillen schienen sich zu weiten. »In Amara und ihren Schwestern fanden wir Wärme und Güte, sie lehrten uns,

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