Azraels Auftrag (German Edition)
innerhalb des Transscripts miteinander verschmolzen waren.
Obwohl sie anfangs davon überzeugt war, dass sie für die Überführung alle Zeit der Welt hatte, wusste sie nun, dass sie keine Sekunde verlieren durfte.
Rein organisch gesehen konnte man die Trennung auch viel später durchführen, aber die geistigen Inhalte der beiden Wesen hätten sich untrennbar zu einer Einheit verbunden. Eine neue Persönlichkeit wäre geboren, die einzelnen Individuen wären tot.
Eleeya zwang sich zur Ruhe. Dann tastete sie nach der ersten Lebensform. Ganz sachte, ganz behutsam begann sie mit der Separation.
Zwischenwelt
Carlos schien zu schweben, zu träumen. Vertraute Empfindungen wallten auf. In wahllosen Sequenzen träumte er von seiner Einschulung in Madrid, den häufigen Familienfeiern, die zu jeder Gelegenheit in großem Rahmen durchgeführt wurden. Er sah das Gesicht von Tante Donna vor sich, seine Neffen Paolo und Frederic, die Hochzeit seiner Schwester.
Er sah die Szene, als Kurt dem Pfarrer den Ring reichen wollte und ihn vor lauter Nervosität fallen ließ. Doch zum Glück rollte er nicht weit, sondern blieb am Schuh von Pfarrer Meier liegen. Er hob ihn auf und sagte trocken zu dem Ring: „Du willst doch nicht jetzt schon weglaufen?“ Obwohl es in seiner Kirche ansonsten still und bedächtig zuging, war das folgende Lachen groß.
Carlos’ Gedanken gingen weiter zu seiner Frau und er erinnerte sich an ihr Hochzeitskleid. Welche Farbe es hatte? Er konnte sich im Moment nicht erinnern.
Welches Kleid trug seine Schwester auf der Hochzeit? Die Erinnerung daran war irgendwie verwaschen.
Dafür dachte er an die vielen Nächte, in der seine kleine Tochter nicht einschlafen konnte. Manchmal huschte sie in ihr Bett, um eine Geschichte erzählt zu bekommen. Seine beiden Mädchen... zusammen mit seiner Frau waren es sogar drei. Und wieder kehrte erbarmungslos das Bild vor sein geistiges Auge zurück, auf dem in einem gigantischen Glutball innerhalb Sekundenbruchteilen seine Familie verdampft wurde. Carlos wurde wach und schlug die Augen auf.
Er erkannte, dass hier irgendetwas nicht stimmte.
Das Erste, was er wahrnahm, war ein düsterer, ockerfarbener, Himmel. Seine Augen nahmen die Umgebung sehr unscharf wahr, nur langsam setzte die Schärfe ein. Er spürte eine seltsame Leichtigkeit, als würde er schweben. Er spürte seinen Körper kaum, alles schien zu vibrieren. Aber darauf achtete er weniger. Seine Gedanken rasten. Wie im Rausch nahm er verschiedene Gedanken wahr, die er nicht richtig einordnen konnte.
Schwindel setzt ein. Carlos lag auf dem Rücken am Boden. Langsam spürte er in seinen Armen und Beinen, wie das sanfte Kribbeln sich verzog und er seine Gliedmaßen wieder bewegen konnte. Vorsichtig drehte er sich auf die Seite.
Und er sah eine traumhafte, fremde Landschaft.
Sein Blick wanderte über ein fremdartiges Meer. Noch sehr unscharf sah er am Himmel die Sonne durch die düsteren, schwefelfarbenen Wolken schimmern. Kleine Blitze kündeten von einem entfernten Gewitter. Sein Kopf schien zu explodieren. Wo war er? Was war geschehen?
Abrupt wurden die Gedanken unterbrochen, als Carlos’ Blick an einer Erscheinung hängen blieb, die in einer Entfernung von zirka fünfzig Metern über ihm am Himmel stand.
Es war sein Typhoon!
Noch ungewöhnlicher war die Lage.
Wie an einer dünnen, unsichtbaren Schnur schien er an seiner Spitze aufgehangen zu sein. Schwerelos hing er senkrecht im Raum und drehte sich in Zeitlupe um seine eigene Achse. Doch das ungewöhnlichste am Typhoon war seine Oberfläche.
Es war nicht die lackierte Kohlefaseroberfläche, die in hunderte abschraubbare Klappen und Deckel unterteilt war.
Die Hülle von dem Ding, das wie ein gigantischer Tannenzapfen vor ihm hing, schien aus einem einzigen Stück zu sein. Glänzend, wie aus Glas gegossen. Schillernd, glitzernd. Dicht unter der spiegelnden Oberfläche erkannte man tausende pulsierender Lichtbahnen. Es sah aus wie ein Tiefseelebewesen, das sein eigenes Licht erzeugte.
Carlos stützte sich auf den Ellbogen auf. Der rasende Kopfschmerz wurde immer schlimmer. Etwas stimmte nicht. Was war geschehen, wo war er? Sein Kopf schien zu explodieren.
„... auf einer Filmbörse in München!“
Benommen ließ er den Blick weiter wandern.
„Meine Schwester wohnt in Madrid.“
Wilde Gedankenfetzen durchrasten seine Wahrnehmung. Wo war er?
Doch ganz plötzlich war eine andere Frage da. Eine Frage, die wesentlich wichtiger erschien. Eine
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