Azraels Auftrag (German Edition)
sie nach vorne herunterzufliegen. Es erschien, als ob die Flüssigkeit über eine unsichtbare Form floss. Als ob sie genau wusste, wohin sie zu fließen hatte, bildete sie eine glatte, perfekte Form.
Carlos bemerkte, dass die tiefblaue Flüssigkeit in einem Abstand von vier oder fünf Zentimetern vor seinen Augen nach unten waberte. Und nun erkannte er auch, dass die halbzähe Masse, zumindest von innen nach Außen, transparent war. Zwar erschien das Bild noch sehr unscharf, was sich aber schlagartig änderte, als der Formungsprozess zu Ende schien.
Mit einem Mal war das gesamte Blickfeld scharf. Gestochen scharf. Und noch etwas fiel auf. Direkt nachdem sich die dunkle Flüssigkeit verfestigt hatte, passte sich die Helligkeit an.
Es war nicht mehr wie durch eine dunkelblaue Brille zu erkennen, alles war taghell, ohne irgendwelche Einschränkungen.
Was Carlos aber besonders auffiel, war, dass die Sicht durch das Display gestochen scharf war. Ihm war vollkommen klar, dass er eine leichte Sehschwäche von 0,4 Dioptrien hatte. Bisher gelang es ihm recht gut, dies zu verbergen. Staunend glitt sein Blick über den kleinen Waldkamm tief unten im Tjadoor-Tal. Der Waldkamm besaß tatsächlich kleinste Spitzen und Zacken.
Sein Blick ging weiter zu den fichtenartigen Gewächsen, die in zehn Metern Entfernung standen. Sie hatten Nadeln!
Carlos sah hinüber zu Mika, der ebenfalls seinen Helm geschlossen hatte. Nun erkannte er, dass der Helm nur in eine Richtung transparent war.
Was er sah, als er Mika anschaute, wirkte wie eine hochmoderne Samurai-Rüstung. Der eiförmige Helm erinnerte entfernt an den Kendo-Kopfschutz japanischer Schwertkämpfer, nur sah dieser hier aus wie aus einer Art spiegelndem Metall oder Glas.
Carlos merkte, wie Mika ihn ebenfalls musterte.
„Cool, echt cool...“ war seinerseits zu hören. Carlos bemerkte, dass trotz des geschlossenen Helmes seine Stimme sehr gut zu hören war. Irgendwie sogar klarer als normal.
Das war auch Mika aufgefallen. Er stellte sich mit durchgedrücktem Kreuz breitbeinig vor Carlos auf und legte ihm die rechte Hand auf die Schulter. Dann begann er, schwer und rasselnd zu atmen und sagte dann: „chhh-chhh..., Luke..., ich bin dein Vater!“
„Mika, lass den Quatsch“, antwortete Carlos lachend. „Pass lieber auf, was dir Eleeya zu sagen hat.
Eleeya wusste nicht, ob sie mitlachen sollte oder nicht. Sie verstand nicht, um was es ging, trotzdem erschien ihr die Situation sehr komisch.
„Und dann möchte ich euch noch kurz zeigen, wie der Anzug euch vor den starken Kräften der Bewegung schützt.“
Eleeyas Hand wirbelte durch die Luft.
„Dazu habe ich lange überlegt, wie so etwas gemacht werden kann. Doch schließlich ist mir eingefallen, was Azrael mal erzählt hatte. Die Geschichte begann folgendermaßen:
Ein starker, alter Baum und ein Grashalm haben gestritten, wer der stärkere von beiden sei. Es zog ein starker Sturm auf. Der Baum stemmte sich mit aller Macht dagegen, bis er schließlich zerbrach. Der Grashalm aber hatte sich dem Wind angepasst und beugte sich einfach, wie es der Wind wollte. Nach dem Sturm stand der Halm, als wäre nichts geschehen und blickte auf die Überreste des riesigen Baums.“
Carlos schüttelte verwundert den Kopf und lächelte Eleeya an: „He die Geschichte kenne ich!“
Eleeya lächelte zurück.
„Ich habe den Anzug in ein Feld gehüllt, das äußere Kräfte aufnimmt und sie wieder abgibt. Das einzige, was nach außen hin sichtbar ist, ist Ruhe. Das bedeutet, die Anzüge verfestigen sich. Sie frieren ein. Sie erkennen selbstständig, wenn die Kräfte zu stark werden und nehmen dann automatisch ihre Schutzstarre ein um den Träger zu schützen. Pass auf, ich zeige es dir. Lass dich fallen!“
Carlos sah sie verwirrt an.
„Was soll ich?“
„Du sollst dich fallen lassen. Jetzt!“
Carlos blieb einfach stehen.
Eleeya schüttelte seufzend den Kopf und ging ein paar Schritte auf Carlos zu. Kurz vor ihm ging sie in die Hocke, griff kurz seinen Arm und schleuderte ihn in hohem Bogen nach hinten.
Außer einem leichten „Ughh...“ war nichts zu hören.
Carlos lag flach am Boden und wirkte wie eine Gliederpuppe, deren Arme und Beine eingefroren waren. Ganz langsam schien die Starre aufzutauen und Carlos stützte sich auf dem Unterarm ab.
„Hey, das war toll. Du spürst rein gar nichts“, richtete er sich an Mika.
„Willst du noch mal?“ fragte er?
Carlos verzog sein Gesicht und wischte sich etwas imaginären
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