Azulamar: Der Erbe von Atlantis (German Edition)
sollte.
Nein. Vor dem Grab, in dem ich laut den Aussagen von Skelter und Gregory wahrscheinlich lag. Erschüttert wich ich bis zu dem Marmorengel zurück und lehnte mich an seine harten Flügel, um mich von dem Schreck zu erholen.
A SHLYNIA S ERAFINA G IBBS
13.07.1989 – N OVEMBER 2006
L IEBE IST UNSTERBLICH
Tief atmete ich ein und aus, dann drehte ich mich entschlossen von den Gräbern weg. Wenn man sich vorstellte, sein eigenes Grab zu sehen, war das schon eine merkwürdige Sache. Aber wenn man es dann wirklich tat, und wenn man sich allzu realistisch vorstellen konnte, wie man diese Platte von unten ansah, dann hatte ich schon wieder das Gefühl, der Verzweiflung nahe zu sein.
Ich existierte gar nicht mehr richtig. Ashlyn Gibbs gab es nicht mehr.
Ein kalter Schauer kroch über meinen Rücken. Mein Blick fiel auf eine Bank im Friedhofsgelände, auf der eine alte Zeitung zu liegen schien.
Ich kam näher, setzte mich und entfaltete sie im Dämmerlicht des Mondes.
Und sofort wurde ich wieder mit meinem Leben und meinem Tod konfrontiert.
F AMILIENTRAGÖDIE IN M ELBOUR
(Melbour) Waren in den letzten Tagen noch einige Spekulationen im Umlauf, wird nun immer klarer, dass es sich im Todesfall von den im Stadtrat sitzenden Gregory Aames und seiner Stieftochter Ashlyn Aames um eine Tragödie unglaublichen Ausmaßes handelt.
Wie die Melbour Times berichtete, wurde Ashlyn Aames anscheinend von einem Kriminellen, dessen Namen die Polizei noch nicht herausgegeben hat, entführt. Gregory Aames und einer seiner Geschäftskollegen machten sich eigenständig auf die Suche nach dem 17-jährigen Mädchen, konnten aber nur noch ihre grausam verstümmelte Leiche bergen. Aames und sein Kollege wurden anscheinend von dem Täter überrascht, der Aames überwältigte und ermordete und auch seinen Kollegen verletzte, bevor dieser die Polizei informieren konnte.
Mittlerweile wurde der sadistische Mörder in Gewahrsam genommen und befindet sich noch im Krankenhaus von Melbour. Die Polizei berichtete, dass er im Kampf seinerseits große Verletzungen erlitten habe und noch nicht geklärt sei, ob er jemals wieder vernehmungsfähig sein wird.
Mehr musste ich nicht lesen.
Der sadistische Mörder war gefasst worden …? Das konnte nur eine geschickte Lüge Skelters für die Presse gewesen sein. Denn River war, so wusste ich es ganz genau, in den Tiefen des Ozeans verschwunden. Fürs Erste war er da auch in Sicherheit, bis er versuchte, Alastair zu töten. Ich wusste, dass er es schaffen musste – denn wenn es ihm nicht gelang, würde die Küstenregion von Melbour als Erstes von Alastairs Wassermassen überspült werden, sollte er so viel Kraft sammeln können.
Ein Gedanke drängte sich mir auf: Wir standen vor einer möglichen Apokalypse. Alle Fäden waren nun zusammengelaufen und lagen in unseren Händen. Nein, falsch. Sie lagen in Rivers Händen, nicht mehr in meinen. Aber konnte ich einfach aufhören?
Mein Blick glitt über meine vermeintliche Grabplatte.
Wenn ich nicht mehr handelte, konnte ich genauso gut sterben.
Konnte mich weiterhin für tot ausgeben, wie es in der Zeitung stand. Niemand würde mehr nach mir suchen, jetzt, wo Gregory ebenfalls tot war. Ich hatte die Möglichkeit, die letzte Chance auf ein neues Leben. Ich konnte gehen, wohin ich wollte. Irgendwie würde ich mich schon durchschlagen, an einen Ort, wo mich niemand kannte. Die Sehnsucht nach einem normalen Leben war stark in mir. Gerne wäre wieder ich das Mädchen gewesen, das vor etwa einem halben Jahr nach Melbour gezogen war.
Mit einer Oberflächlichkeit, die Töchter aus gutem Hause nun mal besitzen. Mit der Unbeschwertheit eines Lebens, das schon halb vorbestimmt war. Die Welt um mich herum hatte immer für mich gesorgt. Dann kam River und ich wachte auf aus einem süßen Traum – und mein Albtraum begann.
Es war Nacht um mich herum und Nacht in meinem Herzen.
Doch ich konnte nicht mehr zurück. Ich hatte mich verliebt, nein, noch mehr – ich liebte River. Mehr als mein altes Leben und mehr als mich selbst.
Ein Geräusch riss mich aus meinen Gedanken. Instinktiv erhob ich mich und versteckte mich hinter den großen Flügeln des Marmorengels.
Ein Mann, groß und muskulös. Er hatte dunkles, seidig fallendes Haar, modisch kurz geschnitten.
Er machte einen Schritt nach links und stand nun direkt vor meiner Grabplatte. Und dann erkannte ich ihn.
Ich trat aus dem Schatten des Engels hinein ins Mondlicht.
»Ribbon«, entfuhr mir sein Name,
Weitere Kostenlose Bücher