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Professorin, als er sich schließlich verabschiedete. »Ich war ganz hingerissen.« Er ging mit einem schlechten Gefühl nach Hause. »Menschen, die nicht reden, werden für schwach oder mangelhaft gehalten«, schlussfolgerte er voller Reue.
Selbstverständlich waren Mike solche Gefühle nicht völlig neu. Er hatte Andeutungen davon schon in der Highschool erlebt. Cupertino hat vielleicht seine eigene konfuzianische Ethik des Stillsein, Lernens und des Respekts vor Beziehungen, aber trotzdem ist die Stadt auch den Gepflogenheiten des Extravertiertenideals unterworfen. Im örtlichen Einkaufszentrum wechseln dreiste asiatisch-amerikanische Jugendliche mit Haarbüscheln, die spitz vom Kopf abstehen, witzige Bemerkungen mit Mädchen in Tanktops mit Spaghettiträgern, die die Augen verdrehen. An einem Samstagmorgen sitzen in der Bibliothek einige Teenager in den Ecken und lernen aufmerksam, während sich andere lautstark um einen Tisch gruppieren. Nur wenige der Jugendlichen mit asiatischen Wurzeln, mit denen ich in Cupertino gesprochen habe, wollten sich mit dem Begriff »introvertiert« identifizieren, obwohl sie sich effektiv so beschrieben. Während sie sich den Werten ihrer Eltern tief verpflichtet fühlten, schienen sie die Welt in »asiatische Traditionalisten« und »asiatische Superstars« aufzuteilen. Die Traditionalisten senken ihren Kopf und machen ihre Hausaufgaben. Die Superstars sind gut in der Schule, aber scherzen in der Klasse auch herum, fordern ihre Lehrer heraus und machen auf sich aufmerksam.
Viele dieser Jugendlichen versuchen bewusst, mehr aus sich herauszugehen als ihre Eltern. Mike sagte mir: »Sie halten ihre Eltern für zu still und versuchen es zu überkompensieren, indem sie sich demonstrativ nach außen wenden.« Auch einige Eltern haben begonnen, ihre Werte zu ändern: »Asiatische Eltern beginnen einzusehen, dass es sich nicht auszahlt, still zu sein, und deshalb ermuntern sie ihre Kinder, Kurse in Rhetorik und Debattierkunst zu belegen«, erklärt Mike. »Unser Rhetorik- und Debattierprogramm war das zweitgrößte in Kalifornien und sollte Jugendlichen die Gelegenheit bieten, laut und überzeugend zu sprechen.«
Dennoch waren Mikes Selbstgefühl und Werte noch ziemlich intakt, als ich ihn zum ersten Mal in Cupertino traf. Er wusste, dass er nicht einer der asiatischen Superstars war – er schätzte sich auf einer Beliebtheitsskala von eins bis zehn bei vier ein –, aber er schien sich in seiner Haut wohlzufühlen. »Ich würde lieber mit Menschen zusammen sein, deren Persönlichkeit authentisch ist«, sagte er mir damals, »und das bringt mich eher mit stillen Menschen zusammen. Es ist schwierig, fröhlich zu sein, wenn ich gleichzeitig weise sein möchte.«
Tatsächlich hatte Mike wahrscheinlich Glück, dass er den geschützten Raum von Cupertino so lange genießen durfte. Asiatisch-amerikanische Jugendliche, die in eher typisch amerikanischen Gemeinden aufwachsen, sind oft viel früher im Leben mit den Problemen konfrontiert, denen Mike als Erstsemester in Stanford begegnete.
Bei einer über fünf Jahre laufenden Vergleichsstudie von amerikanischen Jugendlichen europäischer Abstammung und solchen chinesischer Abstammung der zweiten Generation zeigte sich, dass die chinesischstämmigen Amerikaner in der Jugend signifikant introvertierter waren als ihre amerikanischen Gleichaltrigen – und den Preis mit ihrem Selbstwertgefühl zahlten. 10 Während sich introvertierte chinesischstämmige Zwölfjährige wohl in ihrer Haut fühlten, weil sie sich vermutlich immer noch am traditionellen Wertesystem ihrer Eltern maßen, war ihre Selbstachtung im Alter von 17 Jahren – also in einer Phase, in der sie mehr dem amerikanischen Extravertiertenideal ausgesetzt waren, deutlich abgesunken.
Jugendliche mit asiatischen Wurzeln zahlen den Preis des Andersseins mit Unbehagen in der Gesellschaft Gleichaltriger. Aber als Erwachsene zahlen sie den Preis unter Umständen in Form niedrigerer Gehälter. Der Journalist Nicholas Lemann interviewte einmal eine Gruppe von asiatischstämmigen Amerikanern für ein Buch über Leistungsdenken. »Ein Eindruck, der sich ständig aufdrängt«, schrieb er, »ist, dass die Belohnung für Leistung mit dem Tag des Schulabschlusses endet und dass die Asiaten danach anfangen zurückzufallen, weil sie nicht ganz die richtige kulturelle Einstellung haben, um vorwärtszukommen: Sie sind zu passiv und nicht kumpelhaft genug.« 11
Ich begegnete in Cupertino
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