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vielen Menschen in gehobenen Berufen, die mit diesem Problem zu kämpfen hatten. Eine gut situierte Hausfrau vertraute mir an, dass alle Ehemänner in ihrem Bekanntenkreis in letzter Zeit Jobs in China angenommen hatten und jetzt zwischen Cupertino und Schanghai pendelten, nicht zuletzt weil ihr stilles Auftreten sie daran hinderte, an ihrem Wohnsitz Karriere zu machen. Die amerikanischen Firmen »glauben, dass diese Männer aufgrund ihrer Art, sich selbst zu präsentieren, nicht geschäftstüchtig sind«, sagte sie. »In der Geschäftswelt muss man viel unsinniges Zeug zusammenfügen und vortragen. Mein Mann sagt immer nur das, was er zu sagen hat, und das war’s. In großen Firmen ist fast keiner der Topmanager Asiat. Sie stellen jemanden ein, der fachlich keine Ahnung hat, aber möglicherweise gut reden kann.«
Ein Software-Ingenieur berichtete mir, wie sehr er sich am Arbeitsplatz im Vergleich zu anderen Kollegen, »besonders Leuten europäischen Ursprungs, die sprechen, ohne zu denken«, zurückgesetzt fühlte. »In China«, sagte er, »gilt man als klug, wenn man ein stiller Mensch ist. Hier ist es komplett umgekehrt. Hier lieben es Leute daraufloszureden. Selbst wenn sie einen Gedanken haben, der noch nicht ausgereift ist, reden sie darauflos. Wenn ich bessere Kommunikationsfähigkeiten hätte, würde meine Arbeit stärker anerkannt. Mein Vorgesetzter schätzt mich zwar, aber er weiß nicht wirklich, was für gute Arbeit ich leiste.«
Dann vertraute er mir an, dass er ein Training in Extraversion amerikanischen Stils bei Preston Ni, einem aus Taiwan stammenden Professor für Kommunikation, mitgemacht hatte. Im Foothill College vor den Toren von Cupertino hält Ni eintägige Seminare über »Kommunikationserfolg für im Ausland geborene Fachkräfte« ab. Das Seminar wird im Internet von der »Silicon Valley SpeakUp Association« angekündigt, einer örtlichen Gruppe, die es sich zum Ziel gesetzt hat, »im Ausland geborenen Fachkräften zu helfen, durch eine Verbesserung ihrer sozialer Kompetenz erfolgreich zu sein.« (»SAGEN SIE, WAS SIE DENKEN«, steht über der Homepage der Organisation. »ZUSAMMEN SIND WIR STARK BEI SILICONVALLEY SPEAKUP.«)
Da ich neugierig war, was es aus asiatischer Sicht heißt, zu sagen, was man denkt, meldete ich mich für das Seminar an, und an einem Samstagmorgen ein paar Wochen später saß ich an einem Tisch in einem sehr modernen Seminarraum, während von draußen das Sonnenlicht der nordkalifornischen Berge durch die Fenster flutete. Es waren etwa 15 Teilnehmer da, viele aus asiatischen Ländern, aber auch einige aus Osteuropa und Südamerika.
Professor Ni, ein freundlich aussehender, etwas verlegen lächelnder Mann in einem Anzug westlichen Stils mit goldener Krawatte, auf der die chinesische Zeichnung eines Wasserfalls abgebildet war, begann das Seminar mit einem Überblick über die amerikanische Unternehmenskultur. In den USA, so lautete seine Ermahnung, brauche man Stil ebenso wie Substanz, um vorwärtszukommen. Es sei vielleicht unfair und nicht das beste Kriterium, um zu beurteilen, ob ein Mensch einen entscheidenden Beitrag leiste, »aber wenn Sie kein Charisma haben, können Sie die brillanteste Person auf der ganzen Welt sein, und Sie werden dennoch geringschätzig behandelt.«
Das sei anders als in vielen anderen Kulturen, so Ni. Wenn ein kommunistischer Führer in China eine Rede halte, lese er sie ab, nicht etwa vom Teleprompter, sondern vom Blatt. »Wenn er der Führer ist, hat jeder zuzuhören.«
Ni bat um Freiwillige und ließ Raj, einen indischen Software-Ingenieur in den Zwanzigern, der bei einer der fünfzig umsatzstärksten Firmen angestellt war, nach vorne kommen. Raj trug das übliche Silicon-Valley-Outfit, ein lässiges Herrenhemd und Chinos, aber seine Körpersprache war defensiv. Er verschränkte seine Arme schützend vor der Brust und schlurfte mit seinen Wanderschuhen über den Boden. Als wir am Anfang des Seminars im Raum umhergegangen waren und uns einander vorgestellt hatten, hatte er von seinem Platz in der letzten Reihe aus mit bebender Stimme gesagt, dass er lernen wollte, »mehr Konversation zu machen« und »offener zu sein«.
Professor Ni bat Raj, der Gruppe mitzuteilen, was er mit dem restlichen Wochenende anfangen wolle.
»Heute Abend bin ich mit einem Freund zum Essen verabredet«, antwortete Raj mit kaum hörbarer Stimme und fixierte den Professor, »und morgen gehe ich vielleicht wandern.«
Professor Ni bat ihn, es noch einmal
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