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möglichst viele Informationen gesammelt hat? Oder läuft man beim Zögern Gefahr, das Vertrauen anderer und den eigenen Elan zu verspielen? Die Antwort ist nicht ganz einfach. Wenn Sie auf der Grundlage ungenügender Informationen Sicherheit vorgeben, können Sie Ihre Mitarbeiter ins Unglück stürzen. Wenn Sie aber Unsicherheit ausstrahlen, leidet die Zuversicht darunter, die Geldgeber investieren nicht mehr, und Ihrer Firma kann erst recht der Bankrott drohen.
Die Lehrmethode der HBS bekennt sich implizit zur Seite der Selbstsicherheit und Führungsstärke. Selbst wenn der Chef oder die Chefin die beste Vorgehensweise nicht kennt, muss er oder sie handeln. Auch die HBS-Studenten müssen einen Standpunkt beziehen. Im optimalen Fall hat die Studentin, die gerade per Zufall aufgerufen wurde, das Fallbeispiel bereits mit ihrem Lernteam durchgesprochen und kann sich über die beste Vorgehensweise der Protagonistin auslassen. Wenn sie fertig ist, bittet der Professor andere Studenten, ihre Meinung zu äußern. 50 Prozent der Noten der Studenten und ein noch größerer Prozentsatz ihres sozialen Status hängen davon ab, ob sie sich an der hitzigen Debatte beteiligen. Wenn sie sich oft und energisch äußern, gehören sie dazu; wenn nicht, bleiben sie außen vor.
Viele Studenten passen sich rasch an dieses System an, Don jedoch nicht. Ihm fällt es schwer, sich kraftvoll in die Diskussion einzumischen, und in manchen Seminaren meldet er sich kaum zu Wort. Er zieht es vor, nur dann einen Beitrag zu leisten, wenn er glaubt, er könne einen aufschlussreichen Aspekt beisteuern, oder wenn er einem anderen Studenten ganz und gar nicht zustimmt. Das klingt vernünftig, doch Don hat das Gefühl, dass es besser wäre, wenn ihm das Reden leichter fiele, damit er die ihm zur Verfügung stehende Redezeit voll ausschöpfen könnte.
Dons Freunde an der HBS, nachdenkliche, besonnene Studenten wie er, verbringen viel Zeit damit, über die Beteiligung am Seminar zu sprechen. Wie viel Beteiligung ist zu viel? Wie viel ist zu wenig? Wann handelt es sich bei einer offenen Meinungsverschiedenheit mit einem Kommilitonen um eine sinnvolle Debatte, wann sieht sie nach Konkurrenz und Kritik aus? Eine von Dons Freundinnen zeigt sich besorgt, weil ihr Professor eine E-Mail herumgeschickt hat, in der er alle Studenten mit Praxiserfahrung zur aktuellen Fallstudie auffordert, ihm dies vorher mitzuteilen. Sie ist sich sicher, dass der Professor mit dieser Ankündigung dumme Bemerkungen verhindern will, wie jene, die sie in der vergangenen Woche im Seminar gemacht hat. Ein anderer macht sich Sorgen, weil er nicht laut genug spricht. »Ich habe einfach von Natur aus eine leise Stimme«, sagt er, »und wenn ich für andere normal klinge, kommt es mir vor, als würde ich schreien. Daran muss ich arbeiten.«
An der Harvard Business School gibt man sich alle Mühe, aus stillen Studenten Redner zu machen. Die Professoren haben ihre eigenen »Lernteams«, in denen sie sich gegenseitig aufstacheln, zurückhaltende Studenten aus der Reserve zu locken. Wenn sich Studenten im Seminar nicht zu Wort melden, wird dies nicht nur als deren Defizit, sondern auch als das ihres Professors gewertet. »Wenn jemand am Ende des Semesters immer noch nichts gesagt hat«, erklärte mir Professor Michel Anteby, »dann ist das problematisch. Es bedeutet, dass ich keine gute Arbeit geleistet habe.«
Die Hochschule bietet sogar Informationsveranstaltungen und Internetseiten darüber an, wie man sich im Seminar richtig beteiligt. Dons Freunde rasseln mit ernster Miene die Tipps herunter, an die sie sich am besten erinnern können:
◆ Sprich mit Überzeugung. Auch wenn du etwas nur zu 55 Prozent glaubst, sprich, als glaubtest du hundertprozentig daran.
◆ Wenn du dich auf das Seminar allein vorbereitest, dann machst du es falsch. Nichts an der HBS sollte allein gemacht werden.
◆ Denk nicht über die perfekte Antwort nach. Es ist besser, aufzustehn und etwas zu sagen, als dich nie zu äußern.
Auch die Hochschulzeitung The Harbus gibt gute Ratschläge in Artikeln mit Titeln wie »Wie man ohne Zögern nachdenkt und gut spricht!«, »Podiumspräsenz entwickeln« und »Arrogant oder bloß selbstsicher?«.
Diese Gebote gelten nicht nur für das Studium. Nach den Seminaren essen die meisten Studenten in der Mensa des Spangler-Gebäudes, in der es, wie ein Absolvent sagt, »mehr zugeht wie an einer Highschool als an der Hochschule«. Jeden Tag ringt Don mit sich. Soll er in sein
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