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Vielleicht ging es aber auch um etwas Wichtiges: um eine Krisensitzung der obersten Enron-Etage zum Beispiel, bei der die Frage verhandelt wurde, ob bestimmte fragwürdige Bilanzierungspraktiken aufgedeckt werden sollten oder nicht (siehe dazu Kapitel 7), oder um eine Jury, die darüber entscheiden musste, ob eine alleinerziehende Mutter ins Gefängnis gesteckt werden sollte.
Ich sprach über dieses Rollenspiel mit Professor Quinn Mills von der HBS, einem Experten, was Führungsmethoden angeht. Mills ist ein höflicher Mann, der am Tag unseres Treffens einen Nadelstreifenanzug und eine gelb gepunktete Krawatte trägt. Er hat eine klangvolle Stimme, die er vorteilhaft einsetzt. An der HBS »geht man davon aus, dass Führungspersönlichkeiten imstande sein sollten, sich Gehör zu verschaffen«, sagt er mir rundheraus, »und meiner Ansicht nach entspricht das der Realität«.
Mills weist aber auch auf ein weit verbreitetes Phänomen hin, das man als winner’s curse oder »Pyrrhussieg« bezeichnet: Zwei Unternehmen geben ein konkurrierendes Kaufangebot für eine dritte Firma ab, bis der Preis so hoch klettert, dass es bei dem Kauf weniger um wirtschaftliche Interessen als um einen Egokrieg geht. Der Bieter, der vorn liegt, will um keinen Preis zulassen, dass der Gegner zum Zuge kommt, also kauft er die Firma zu einem überhöhten Preis. »In solchen Fällen setzen sich eher die Leute mit Ellenbogen durch«, meint Mills. »Man kann es ständig beobachten. Hinterher wird gefragt: ›Wie konnte das nur passieren? Wieso haben wir so viel bezahlt?‹ Oft heißt es dann, dass sie sich von der Situation haben mitreißen lassen, aber das stimmt nicht. Gewöhnlich lassen sie sich von Leuten mitreißen, die bestimmt und dominant auftreten. Die Gefahr für unsere Studenten besteht darin, dass es ihnen immer besser gelingt, ihre Ansicht durchzusetzen, egal, ob sie richtig ist oder falsch.«
Wenn wir davon ausgehen, dass stille Menschen und laute Menschen in etwa dieselbe Anzahl an guten (oder schlechten) Ideen haben, dann sollte der Gedanke, dass nur die lauteren und energischeren Menschen sich durchsetzen, uns besorgt aufhorchen lassen. Das würde bedeuten, dass ein ganzer Haufen schlechter Ideen siegt, während die guten untergehen. Studien in Gruppendynamik belegen, dass genau das passiert. Redefreudige Menschen erscheinen uns klüger als stille – auch wenn der Notendurchschnitt sowie Hochschulzugangs- und Intelligenztests zeigen, dass dieser Schein trügt. Ein Experiment, bei dem die Testpersonen zuhörten, während zwei Fremde miteinander telefonierten, ergab, dass diejenigen, die mehr redeten, als intelligenter, besser aussehend und sympathischer eingeschätzt wurden. Wir halten Menschen, die gern reden, auch für Führungspersönlichkeiten. Je mehr jemand redet, desto häufiger schenken ihm die anderen Gruppenmitglieder Gehör, was bedeutet, dass er im Lauf einer Konferenz immer mehr Macht bekommt. Ebenso hilfreich ist es, schnell zu reden. Wir glauben, dass Leute, die schnell reden, kompetenter und attraktiver sind als Menschen, die langsam reden.
Gegen all das wäre nichts einzuwenden, wenn ein größerer Redefluss tatsächlich mit mehr Klugheit einherginge, doch haben Studien ergeben, dass zwischen beidem keinerlei Zusammenhang besteht. In einer Studie wurden Gruppen von College-Studenten gebeten, gemeinsam Mathematikaufgaben zu lösen und dann gegenseitig die Intelligenz und das Urteilsvermögen der Gruppenteilnehmer zu bewerten. 6 Die Studenten, die als Erste und am häufigsten redeten, bekamen durchgängig die höchsten Punkte, auch wenn ihre Vorschläge (und ihre mathematischen Fähigkeiten im Hochschulzulassungstest) nicht besser waren als die der weniger redefreudigen Studenten. Bei einer weiteren Übung, bei der eine Geschäftsstrategie für eine Firma entwickelt werden sollte, die neu an den Markt gehen wollte, bekamen dieselben redefreudigen Studenten ähnlich hohe Punktzahlen für ihre Kreativität und ihr analytisches Denkvermögen
In einer anderen bekannten Untersuchung, die der Professor für Organisationsverhalten Philip Tetlock von der Universität Berkeley durchführte, stellte sich heraus, dass Fernsehgrößen – Menschen, die ihr Geld damit verdienen, sich auf der Grundlage begrenzter Informationen selbstsicher über ein Thema auszulassen – politische und wirtschaftliche Trends schlechter vorhersagen, als würde man die Prognose würfeln . 7 Die allerschlechtesten Prognostiker sind
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