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ganze schwarze Gemeinde von Montgomery aufrief, die Busse zu boykottieren. »Da es passieren musste«, sagte King den versammelten Zuhörern, »bin ich froh, dass es einer Person wie Rosa Parks passierte, denn niemand kann ihre grenzenlose Integrität in Zweifel ziehen, niemand kann ihre Unbescholtenheit anzweifeln. Mrs. Parks ist bescheiden, und doch ist sie ein Vorbild an aufrechter Gesinnung und Charakterfestigkeit.«
Später im selben Jahr erklärte sich Parks bereit, Martin Luther King und andere führende Köpfe der Bürgerrechtsbewegung auf einer Vortragsreise zur Spendenbeschaffung zu begleiten. Sie litt die ganze Zeit an Schlaflosigkeit, Magengeschwüren und Heimweh. Sie lernte ihr Idol, Eleanor Roosevelt, kennen, die die Begegnung in einer Zeitungskolumne beschrieb: »Sie ist ein sehr stiller, freundlicher Mensch, und es fällt schwer, sich vorzustellen, wie es ihr gelang, solch einen klaren und unabhängigen Standpunkt einzunehmen.« Als der Boykott über ein Jahr später schließlich zu Ende ging und die Rassentrennung in den Bussen auf Anordnung des Obersten Gerichtshofes aufgehoben worden war, wurde Parks von der Presse übersehen. Die New York Times brachte einen zweiseitigen Aufmacher über den gefeierten Martin Luther King, Rosa Parks dagegen wurde nicht einmal erwähnt. Andere Zeitungen fotografierten die Anführer des Boykotts vor den Bussen sitzend, doch Parks wurde nicht eingeladen, auf den Fotos zu posieren. Ihr war es gleichgültig. Am Tag, als die Rassentrennung in den Bussen aufgehoben wurde, zog sie es vor, zu Hause zu bleiben und sich um ihre Mutter zu kümmern.
Parks Geschichte ist eine lebhafte Erinnerung daran, dass wir im Laufe der Menschheitsgeschichte immer wieder mit Führungspersönlichkeiten beschenkt worden sind, die das Rampenlicht vermieden haben. Moses beispielsweise war, soweit wir wissen, nicht der forsche, redefreudige Typ, 14 der in Harvard Ausflüge organisieren und in einem Seminar Reden schwingen würde. Nach heutigen Maßstäben war er im Gegenteil furchtbar schüchtern. Er stotterte und schätzte sich selbst als nicht redegewandt ein. Dem 4. Buch Mose zufolge war er »ein sehr demütiger Mensch, mehr als alle Menschen auf dem Angesicht der Erde«.
Als Gott sich ihm zum ersten Mal in Form eines brennenden Dornbusches zeigte, stand Moses als Hirte im Dienste seines Schwiegervaters; er war nicht einmal ehrgeizig genug, um eine eigene Herde zu besitzen. Und als Gott ihm im Dornenbusch seine Rolle als Befreier der Juden verkündete, war Moses da Feuer und Flamme? »Schick jemand anderen«, bat er. »Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen sollte? Ich kann nicht gut reden. Ich bin schwerfällig mit der Sprache und der Zunge.«
Erst als Gott ihm seinen extravertierten Bruder Aaron zur Seite stellte, erklärte Moses sich bereit, die Aufgabe zu übernehmen. Er sollte auf Geheiß Gottes der Redenschreiber sein, die graue Eminenz hinter den Kulissen, und Aaron das öffentliche Gesicht des Unternehmens. »Er soll für dich wie dein Mund sein«, hieß es aus dem Dornenbusch, »und du sollst für ihn wie Gott sein.«
Mithilfe von Aaron führte Moses die Juden aus Ägypten, nahm sich ihrer in der Wüste in den folgenden vierzig Jahren an und brachte ihnen die Zehn Gebote vom Berge Sinai. Das alles geschah, indem er sich der Stärken bediente, die man klassisch mit Introversion assoziiert: Er erklomm einen Berg auf der Suche nach Weisheit und schrieb sorgfältig auf zwei Steintafeln nieder, was er dort erfuhr.
Wir neigen dazu, Moses’ wahre Persönlichkeit der Exodus-Geschichte zu entnehmen. (In Cecil B. DeMilles klassischem Film Die zehn Gebote wird Moses als verwegener Bursche dargestellt, der ganz ohne Aarons Hilfe das Reden übernimmt.) Wir fragen nicht, warum Gott einen Stotterer, der Angst hat, öffentlich zu reden, als Propheten auserwählte. Aber wir sollten diese Frage stellen. Das Buch Exodus (2. Buch Mose) gibt keine wirkliche Erklärung, doch der Hergang der Geschichte legt nahe, dass die Introversion die Seite des Yin und die Extraversion die Seite des Yang darstellt, dass das Medium nicht immer identisch mit der Botschaft ist und dass die Menschen Moses folgten, weil seine Worte Tiefgang hatten, nicht weil er gut formulieren konnte.
Während Parks durch Taten und nicht durch Worte sprach und Moses sich seines Bruders Aaron bediente, spricht heutzutage ein weiterer Typus des introvertierten Anführers mithilfe des Internets.
In seinem Buch Der Tipping Point:
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