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kennenzulernen, weil er befürchtete, dass die Kinder mit einer Art fröhlichem und jovialem Nikolaus rechneten und von seinem viel reservierteren Wesen enttäuscht sein würden. »In Massen machen mir Kinder Angst«, bekannte er.
Wenn persönlicher Freiraum eine unabdingbare Voraussetzung für Kreativität ist, so gilt dasselbe auch für die Freiheit von »Gruppendruck«. Es sei an die Geschichte des legendären Werbefachmanns Alex Osborn erinnert. 26 Heutzutage löst der Name Osborn bei den meisten Menschen nichts mehr aus, aber in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war er die Art überlebensgroßer Renaissance-Gestalt, die die Zeitgenossen faszinierte. Osborn war einer der Begründer der Werbeagentur BBDO (Batten, Barton, Durstine and Osborn). Aber vor allem machte er sich einen Namen als Autor. Es begann alles an einem Tag im Jahre 1938, als der Redakteur einer Zeitschrift ihn zum Lunch einlud und nach seinem Hobby fragte.
»Imagination«, antwortete Osborn.
»Mr. Osborn«, sagte der Redakteur, »darüber müssen Sie ein Buch schreiben. Schon lange wartet diese Aufgabe darauf, dass jemand sie übernimmt. Es gibt kein wichtigeres Thema. Sie müssen ihm die Zeit, Energie und Gründlichkeit widmen, die es verdient.«
Das tat Mr. Osborn. Er verfasste zwischen 1940 und 1950 tatsächlich mehrere Bücher, in denen er ein Problem in Angriff nahm, das ihn in seiner Eigenschaft als Chef von BBDO irritiert hatte: Seine Angestellten waren nicht kreativ genug. Wie er glaubte, hatten sie gute Ideen, aber stellten sie nur ungern vor, aus Angst vor dem Urteil ihrer Kollegen.
Für Osborn bestand die Lösung nicht darin, seine Angestellten allein arbeiten zu lassen, sondern die Kritik, die bei der Gruppenarbeit lauerte, zu beseitigen. Er erfand die Idee des »Brainstormings«, eines Prozesses, bei dem Gruppenmitglieder Ideen in einer nicht urteilenden und kreativen Atmosphäre hervorbringen. Er nannte vier Regeln für das Brainstorming:
Kritisiere oder beurteile Ideen nicht.
Erleg dir keine Beschränkungen auf. Je verrückter die Idee, desto besser.
Produziere möglichst viele Ideen. Je mehr Ideen du hast, desto besser.
Greif die Ideen anderer Gruppenmitglieder auf.
Osborn war ein leidenschaftlicher Verfechter des Gedankens, dass Gruppen – einmal vom Gespenst des gegenseitigen Urteilens befreit – mehr und bessere Ideen produzieren als ein Einzelner allein, und er untermauerte seine Lieblingsidee mit großartigen Behauptungen. »Die quantitativen Resultate eines Brainstormings in der Gruppe stehen außer Frage«, schrieb er. »Eine Gruppe produzierte 45 Vorschläge für eine Haushaltsgeräte-Werbung, 56 Ideen für eine Geldbeschaffungskampagne, 124 Ideen, um mehr Bettdecken zu verkaufen. In einem anderen Fall führten 15 Gruppen ein Brainstorming zu ein und demselben Problem durch und produzierten über 800 Ideen.«
Osborns Theorie entfaltete eine große Wirkung, und die Unternehmenschefs nahmen das Brainstorming begeistert auf. Bis auf den heutigen Tag ist es an der Tagesordnung, dass jemand, der eine Zeitlang in einer amerikanischen Firma tätig ist, sich gelegentlich in einem Raum mit weißen Wandtafeln und Filzstiften und einem außerordentlich schwungvollen Moderator wiederfindet, der alle Mitarbeiter zur freien Assoziation ermuntert.
Osborns bahnbrechende Idee hat nur einen Haken: Brainstorming in der Gruppe funktioniert in Wahrheit gar nicht. Eine der ersten Untersuchungen, die dies demonstrierte, stammt aus dem Jahr 1963. Marvin Dunnette, Psychologieprofessor an der Universität von Minnesota, ließ 48 Wissenschaftler aus der Forschungs-und 48 Fachleute aus der Werbeabteilung des Unternehmens »3M« (Erfinder des Post-it) sowohl ein individuelles als auch ein Brainstorming in der Gruppe durchführen. 27 Dunnette ging davon aus, dass die Werbeleute, die überwiegend sehr kontaktfreudig waren, von dem Brainstorming in der Gruppe profitieren würden. Bei den Wissenschaftlern war er sich weniger sicher, weil er sie für introvertierter hielt.
Dunnette teilte die beiden aus 48 Männern bestehenden Gruppen in je zwölf Untergruppen mit vier Teilnehmern auf. Allen Vierergruppen wurde eine Aufgabe für das Brainstorming gestellt, beispielsweise welcher Nutzen oder welche Schwierigkeiten sich daraus ergeben würden, wenn man mit einem zweiten Daumen geboren würde. Jeder Teilnehmer erhielt zusätzlich ein anderes (ähnliches) Problem, über das er mithilfe von Brainstorming allein nachdenken sollte. Dann
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