B00B5B7E02 EBOK
durch eine laute Stadt. 22
Eine andere Untersuchung von 38 000 Angestellten quer durch verschiedene Bereiche, die wissenschaftlich arbeiteten, ergab, dass der schlichte Umstand, unterbrochen zu werden, eines der größten Hindernisse für die Produktivität darstellt. 23 Selbst Multitasking, das hochgeschätzte Bravourstück der modernen Bürokrieger, hat sich als Mythos erwiesen. Wissenschaftler haben inzwischen herausgefunden, dass das Gehirn unfähig ist, zwei Dingen gleichzeitig Aufmerksamkeit zu schenken. Was wie die gleichzeitige Ausführung mehrerer Aufgaben aussieht, ist in Wirklichkeit ein Hin- und Herschalten zwischen ihnen, was die Produktivität senkt und die Fehlerquote um bis zu 50 Prozent erhöht.
Viele Introvertierte scheinen das instinktiv zu wissen und wehren sich dagegen, zusammengepfercht zu werden. Bei Backbone Entertainment , einer Firma in Oakland, Kalifornien, die Videospiele produziert, arbeitete man anfangs auch im Großraumbüro, stellte aber fest, dass die Designer, zu denen viele Introvertierte zählten, damit unglücklich waren. »Wir hatten früher eine einzige große Fläche in der Art eines Kaufhauses nur mit Tischen und ohne Wände, und jeder konnte jeden sehen«, erzählte mir Mike Mika, der ehemalige Kreativdirektor. »Wir sind zu Waben übergegangen, obwohl wir uns Sorgen gemacht haben, dass Menschen in einer kreativen Umgebung so etwas nicht mögen. Aber wie sich herausstellt, ziehen sie Winkel und Nischen vor, in denen sie sich zurückziehen und für sich sein können.«
Etwas Ähnliches ereignete sich bei Reebok International, als die Firma im Jahre 2000 1250 Angestellte in ihrem neuen Firmensitz in Canton, Massachusetts, zusammenlegte. Die Manager gingen davon aus, dass sich die Schuhdesigner offene Büroflächen wünschten, um Brainstormings durchführen zu können (eine Idee, die sie vermutlich mitnahmen, als sie ihren Abschluss als Betriebwirte machten). Glücklicherweise fragten sie erst die Designer und erfuhren, dass diese Ruhe und Frieden brauchten, um sich konzentrieren zu können.
Für Jason Fried, Mitbegründer einer Firma für Webapplikationen, sind das keine Neuigkeiten. Ab dem Jahr 2000 befragte Fried zehn Jahre lang Hunderte von Menschen (hauptsächlich Designer, Programmierer und Autoren), wo sie am liebsten arbeiteten, wenn sie etwas zügig erledigen wollten. 24 Er stellte fest, dass sie vor allem nicht in ihr Büro gingen, weil es zu laut war und sie zu oft gestört wurden. Deshalb wohnen von Frieds 16 Angestellten nur acht in Chicago, dem Standort seiner Firma, und selbst sie sind nicht verpflichtet, zur Arbeit zu erscheinen, insbesondere nicht zu Konferenzen, die Fried als »Gift« einstuft. Fried ist nicht gegen Zusammenarbeit – die Homepage seiner Firma rühmt die Fähigkeit seiner Produkte, »Zusammenarbeit produktiv und erfreulich zu machen«. Aber Fried zieht passive Formen der Zusammenarbeit vor, wie E-Mails, SMS und Online-Chat-Tools. Was er anderen Arbeitgebern rät? »Blasen Sie Ihre nächste Konferenz ab«, sagt er. »Setzen Sie keinen neuen Termin an. Löschen Sie ihn aus dem Gedächtnis.« Er empfiehlt auch »Schweige-Donnerstage« – einen Tag in der Woche, an dem die Mitarbeiter nicht miteinander reden dürfen.
Die Menschen, die Fried interviewte, sprachen nur laut aus, was kreative Menschen seit Langem wissen. Kafka beispielsweise konnte nicht einmal die Nähe der von ihm angebeteten Verlobten ertragen, wenn er arbeitete:
Einmal schriebst Du, Du wolltest bei mir sitzen, während ich schreibe; denke nur, da könnte ich nicht schreiben … Schreiben heißt ja, sich öffnen bis zum Übermaß; die äußerste Offenherzigkeit und Hingabe, in der sich ein Mensch im menschlichen Verkehr schon zu verlieren glaubt und vor der er also, solange er bei Sinnen ist, immer zurückscheuen wird …Deshalb kann man nicht genug allein sein, wenn man schreibt, deshalb kann es nicht genug still um einen sein, wenn man schreibt, die Nacht ist noch zu wenig Nacht. 25
Selbst der weitaus fröhlichere Kinderbuchautor Dr. Seuss, der Erfinder des Grinch, verbrachte seine Arbeitstage zurückgezogen in seinem privaten Arbeitszimmer, dessen Wände mit Entwürfen und Zeichnungen übersät waren, in einem Glockenturm außerhalb seines Hauses in La Jolla, Kalifornien. Seuss war ein viel ruhigerer Mann, als es seine heiteren Reime vermuten lassen würden. Er nahm selten Gelegenheiten wahr, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen und seine junge Leserschaft
Weitere Kostenlose Bücher