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besitzt, die den unseren ähneln. Bei diesen Affen wie auch bei Menschen hilft ein Gen, das Serotonin-Transportgen (SERT) oder 5-HT-Gen heißt, bei der Verarbeitung von Serotonin, einem Neurotransmitter, der die Stimmung beeinflusst. Eine bestimmte Variante oder ein »Allel« dieses Gens, manchmal als das »kurze Allel« bezeichnet, soll mit hoher Reaktivität und Introversion sowie mit einem erhöhten Depressionsrisiko bei Menschen einhergehen, die ein schwieriges Leben haben. 14
Wenn neugeborene Affen mit diesem Allel Stress ausgesetzt wurden – bei einem Experiment wurden sie ihren Müttern weggenommen und als Waisen aufgezogen –, verarbeiteten sie Serotonin weniger effektiv (was ein Risikofaktor für Depression und Angst ist) als Affen mit dem langen Allel, die ähnliche Entbehrungen erdulden mussten. Aber kleine Affen mit demselben genetischen Risikoprofil, die von fürsorglichen Müttern aufgezogen wurden, erzielten bei sozialen Schlüsselaufgaben – dem Finden von Spielkameraden, dem Schmieden von Bündnissen und dem Umgang mit Konflikten – bessere Ergebnisse als ihre Genossen mit dem langen Allel, selbst als jene, die in einer ähnlich stabilen Umgebung aufgewachsen waren. Sie landeten oft auf den obersten Rängen in der sozialen Hierarchie. Auch ihre Serotoninverarbeitung war besser.
Stephen Suomi, der Wissenschaftler, der diese Studien leitete, vermutet, dass der Erfolg der hoch reaktiven Affen auf das hohe Maß an Zeit zurückzuführen ist, die sie damit zubrachten, die Gruppe zu beobachten, statt sich am Geschehen zu beteiligen, sodass sie die Gesetze der sozialen Dynamik tief verinnerlichen konnten. (Das ist eine Hypothese, die Eltern plausibel erscheinen könnte, deren hoch reaktive Kinder sich manchmal wochen-und monatelang beobachtend am Rand der Spielgruppe aufhalten, bevor sie sich erfolgreich hineinbegeben.)
Studien bei Menschen haben ergeben, dass pubertierende Mädchen mit dem kurzen Allel des SERT-Gens mit einer 20 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit depressiv werden als Mädchen mit dem langen Allel, wenn sie Stress in der Familie ausgesetzt sind, aber mit einer 25 Prozent geringeren Wahrscheinlichkeit, wenn sie in einem stabilen Elternhaus aufwachsen. Ebenso haben Erwachsene mit dem kurzen Allel nach einem stressigen Tag abends erwiesenermaßen mehr Angst als andere, aber weniger Angst an ruhigen Tagen. 15 Hoch reaktive Vierjährige reagieren altruistischer als andere Kinder, wenn man sie moralisch in die Zwickmühle bringt – aber dieser Unterschied ist im Alter von fünf Jahren nur dann noch vorhanden, wenn ihre Mütter sie sanft und nicht gewaltsam bändigen. Hoch reaktive Kinder, die in einer unterstützenden Umgebung aufwachsen, sind sogar noch widerstandsfähiger als andere Kinder gegen die üblichen Erkältungen und Atemwegserkrankungen (aber werden leichter krank, wenn sie unter stressigen Bedingungen aufwachsen). 16
Diese Ergebnisse sind sehr beeindruckend, und es ist erstaunlich, dass sie noch bis vor Kurzem unbekannt waren. Erstaunlich, aber vielleicht nicht überraschend. Psychologen werden für die Therapie ausgebildet, und deshalb konzentriert sich die psychologische Forschung naturgemäß auf Probleme und pathologisches Verhalten. »Es ist, bildlich gesprochen, fast so, als würden sich Seeleute vor lauter Klugheit nur damit beschäftigen, nach den Unterwasser-Ausläufern von Eisbergen Ausschau zu halten, die ihr Schiff gefährden könnten«, schreibt Belsky, »und dabei vergessen, dass sie oben auf einen Eisberg klettern können, um einen freien Weg durch das eisübersäte Meer zu finden.« 17
Die Eltern von hoch reaktiven Kindern haben das große Los gezogen, erklärte mir Belsky. »Die Zeit und Mühe, die sie investieren, sind in der Tat entscheidend. Statt die Anfälligkeit dieser Kinder gegenüber Schwierigkeiten in den Vordergrund zu stellen, sollten Eltern sie als formbar betrachten – zum Schlechteren, aber auch zum Besseren hin.« Er beschreibt wortreich die Idealeltern eines hoch reaktiven Kindes: jemand, der »ihre Signale lesen und ihre Individualität respektieren kann, der das Kind warmherzig und mit Festigkeit fordert, ohne hart und feindselig zu sein, der Neugier, schulische Leistungen, aufgeschobene Bedürfnisbefriedigung und Selbstkontrolle fördert und nicht barsch, desinteressiert oder inkonsequent ist«.
Das ist selbstverständlich für alle Eltern ein hervorragender Rat, aber bei der Erziehung eines hoch reaktiven Kind ist er von
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