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B00B5B7E02 EBOK

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Titel: B00B5B7E02 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cain
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»Internalisierung« der Verhaltensnormen der Eltern, und ihm liegt Angst zugrunde.
    Aber was geschieht, wenn bestimmte Kinder weniger angstanfällig sind als andere, wie es bei extrem gering reaktiven Kindern der Fall ist? Oft besteht die beste Art und Weise, diesen Kindern Werte beizubringen, darin, ihnen positive Rollenmodelle zu geben und ihre Furchtlosigkeit produktiv zu kanalisieren. Ein gering reaktives Kind in einem Eishockeyteam erfährt die Achtung der Gleichaltrigen, wenn es seine Gegner mit gesenkter Schulter attackiert, was ein »legaler« Spielzug ist. Aber wenn das Kind zu weit geht und einem anderen Mitspieler eine Gehirnerschütterung verpasst, landet es auf der Strafbank. Mit der Zeit lernt es, seine Risikobereitschaft und Durchsetzungslust vernünftig zu gebrauchen.
    Angenommen, dasselbe Kind würde in einem gefährlichen Viertel mit wenig organisiertem Sport oder anderen konstruktiven Ventilen für seine Furchtlosigkeit aufwachsen. Es ist nachvollziehbar, dass es möglicherweise kriminell wird. Vielleicht geraten einige benachteiligte Kinder nicht nur aufgrund von Armut und Vernachlässigung auf die schiefe Bahn, sagen die Wissenschaftler, die diese Ansicht vertreten, sondern auch aufgrund der Tragödie eines wagemutigen und überschwänglichen Temperaments, dem ein gesundes Ventil fehlt.
     
    Auch das Schicksal der meisten hoch reaktiven Kinder wird von ihrer Umwelt beeinflusst – vielleicht noch mehr als das des Durchschnittskinds, so lautet eine bahnbrechende neue Theorie, die von David Dobbs in einem Artikel in der Zeitschrift The Atlantic »Orchideenhypothese« getauft wurde. 13 Dieser Theorie zufolge sind viele Kinder so wie der Löwenzahn imstande, in fast jeder Umgebung zu gedeihen. Andere jedoch, unter anderem auch die hoch reaktiven Typen, die Kagan untersucht hat, gleichen eher Orchideen: Sie welken leicht, aber unter den richtigen Bedingungen können sie sich stark und prachtvoll entwickeln.
    Ein führender Vertreter dieser Ansicht, Jay Belsky, Psychologieprofessor und Experte für Kindererziehung an der Universität London, glaubt, dass die Reaktivität des Nervensystems dieser Kinder zur Folge hat, dass sie einerseits von Widrigkeiten in der Kindheit rasch überwältigt werden, aber andererseits von einer fördernden Umgebung stärker profitieren können als weniger reaktive Kinder. Mit anderen Worten: Orchideenkinder werden von allen Erfahrungen stärker berührt, sowohl den positiven als auch den negativen.
    Wissenschaftlern ist seit geraumer Zeit klar, dass ein hoch reaktives Temperament Risikofaktoren birgt. Solche Kinder reagieren besonders verletzlich auf Herausforderungen, wie Spannungen zwischen den Eltern, den Tod eines Elternteils oder Misshandlung. Mit höherer Wahrscheinlichkeit als ihre Altersgenossen reagieren sie auf solche Ereignisse mit Depression, Angst und Schüchternheit. Tatsächlich leidet ein Viertel von Kagans hoch reaktiven Kindern an einem gewissen Grad dessen, was man »soziale Angststörung« nennt, einer chronischen und das Leben einschränkenden Form der Schüchternheit.
    Was Wissenschaftler bis vor Kurzem tatsächlich nicht erkannt hatten, ist, dass diese Risikofaktoren eine positive Kehrseite haben: Sensibilität und Stärken sind miteinander gekoppelt. Hoch reaktive Kinder, die eine gute Erziehung und ein stabiles Zuhause genießen, haben Untersuchungen zufolge tendenziell weniger emotionale Probleme und mehr soziale Fähigkeiten als gering reaktive Gleichaltrige. Sie sind ungewöhnlich mitfühlend, fürsorglich und kooperativ. Sie arbeiten gut mit anderen zusammen. Sie sind freundlich, gewissenhaft und durch Grausamkeit, Ungerechtigkeit und Unverantwortlichkeit leicht zu verstören. Sie sind erfolgreich bei Dingen, die ihnen wichtig sind. Sie werden nicht unbedingt zu Klassensprechern oder Stars bei den Schulaufführungen, sagte mir Professor Belsky, obwohl auch das vorkommen kann: »Einige werden Wortführer in ihrer Klasse, bei anderen nimmt es die Form an, dass sie gut in der Schule sind. Andere wiederum sind beliebt.«
    Die positiven Kehrseiten des hoch reaktiven Temperaments wurden in interessanten Untersuchungen belegt, die Wissenschaftler erst allmählich zu einem Bild zusammenfügen. Eines der interessantesten Resultate, das auch in dem Artikel von Dobbs dargestellt wurde, stammt aus der Welt der Rhesusaffen, einer Gattung, deren DNA zu etwa 95 Prozent mit der menschlichen DNA übereinstimmt und die ausgeklügelte soziale Strukturen

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