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Titel: B00B5B7E02 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cain
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in seinem Koffer lag. Sie war am Boden zerstört, hielt ihre Ehe jedoch aufrecht. Und auch wenn die beiden die romantische Seite ihrer Beziehung nie mehr aufleben ließen, ersetzten sie sie doch durch etwas Eindrucksvolleres: die Vereinigung seines Selbstbewusstseins mit ihrem Gewissen. 4
     
    Wenn wir einen Zeitsprung in die Gegenwart unternehmen, begegnen wir einer Frau von ähnlichem Temperament, die ebenfalls aus ihrem eigenen Gefühl von Gewissen heraus handelt. Dr. Elaine Aron ist experimentelle Psychologin und hat seit ihrer ersten wissenschaftlichen Publikation 1997 im Alleingang etwas neu definiert, was Kagan und andere Wissenschaftler hohe Reaktivität (und manchmal »Negativität« und »Hemmung«) nennen. 5 Sie nennt es »hohe Sensibilität«, und zusammen mit dem neuen Namen für dieses Persönlichkeitsmerkmal hat sie auch unser Verständnis davon verwandelt und vertieft.
    Als ich höre, dass Aron die Hauptrednerin auf einer Tagung von »hochsensiblen Menschen« ist, die jährlich an einem Wochenende auf der Walker Creek Ranch in Marin County, Kalifornien, stattfindet, buche ich rasch einen Flug. Jacquelyn Strickland, Psychotherapeutin sowie Begründerin und Organisatorin der Veranstaltung, sagt, dass sie diese Wochenenden ins Leben gerufen hat, damit hochsensible Menschen davon profitieren können, in der Gesellschaft Gleichgesinnter zu sein. Sie schickt mir ein Informationsblatt zu, in dem es heißt, dass wir in Zimmern untergebracht sind, die für den »Mittagschlaf, zum Tagebuchführen, Spielen, Meditieren, Organisieren, Schreiben und Reflektieren« gedacht sind.
    »Wenn Sie sich mit anderen austauschen wollen, tun Sie es bitte ganz leise auf Ihrem Zimmer (mit Zustimmung Ihrer Mitbewohnerin oder Ihres Mitbewohners) oder vorzugsweise in den Aufenthaltsräumen, auf Spaziergängen und bei Mahlzeiten«, heißt es weiter in dem Informationsblatt. Die Tagung ist für Menschen gedacht, die Gespräche mit Tiefgang lieben und manchmal »ein Gespräch auf eine tiefere Ebene bringen, nur um herauszufinden, dass sie die Einzigen dort sind«. Es wird an diesem Wochenende genug Zeit für ernsthafte Gespräche geben, wird uns versichert. Aber es steht uns auch frei, ganz nach Belieben zu kommen und zu gehen. Strickland weiß, dass die meisten Introvertierten ein Leben voller Gruppenzwang hinter sich haben, und sie will uns an diesem Wochenende ein anderes Modell vorführen, wenn auch nur für ein paar Tage.
    Die Walker Creek Ranch liegt auf einem Areal von 700 Hektar unverdorbener nordkalifornischer Wildnis. Sie bietet Wanderwege, Tiere in freier Wildbahn unter einem weiten klaren Himmel und im Zentrum ein gemütliches, scheunenähnliches Tagungszentrum, wo sich ungefähr dreißig Teilnehmer an einem Donnerstagnachmittag Mitte Juni versammeln. Die Buckeye Lodge ist mit großen grauen Industrieteppichen, riesigen weißen Wandtafeln und Panoramafenstern mit Blick auf sonnige Redwood-Wälder ausgestattet. Neben den üblichen Stapeln mit Anmeldeformularen und Namensschildern steht ein Flipchart, auf dem wir unseren Namen und unseren Persönlichkeitstyp nach der Myers-Briggs-Skala eintragen sollen. Ich überfliege die Liste. Jeder ist introvertiert, bis auf Strickland selbst, eine blonde, warmherzige, freundliche und gesprächige Frau. (Dr. Arons Forschung zufolge sind hochsensible Menschen in der Mehrzahl introvertiert.)
    Die Tische und Stühle im Raum sind in einem großen Viereck angeordnet, sodass jeder den anderen anschauen kann. Strickland bittet uns, uns freiwillig zu melden und zu sagen, was uns hierhergeführt hat. Ein Software-Ingenieur namens Tom macht den Anfang und schildert in leidenschaftlichen Worten, wie erleichtert er war, als er erfuhr, dass das Persönlichkeitsmerkmal der hohen Sensibilität eine physiologische Grundlage hat. »Das sagt also die Forschung! So bin ich! Ich muss nicht mehr den Erwartungen anderer entsprechen. Ich brauche weder das Gefühl zu haben, mich entschuldigen noch verteidigen zu müssen.« Mit seinem langen, schmalen Gesicht und den mandelförmigen Augen erinnert er mich an Abraham Lincoln, nur dass ihm seine braune Mähne und ein dazu passender Bart zusätzlich die Aura eines Mystikers verleihen. Er stellt seine Frau vor, die erzählt, dass sie und Tom gut zusammenpassen und gemeinsam auf Arons Arbeit gestoßen sind.
    Als ich an der Reihe bin, mache ich mich auf das gewöhnliche Herzklopfen gefasst, das ich erlebe, wenn ich mich einer unbekannten Gruppe vorstelle, aber dann

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