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Titel: B00B5B7E02 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cain
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festzustellen. Dann wurden die Fragen bohrender und die Manieren des Prüfers schonungsloser. War ich schon einmal in Polizeigewahrsam? Hatte ich je geklaut? Hatte ich Kokain genommen? Bei der letzten Frage fixierte mich mein Befrager scharf. Tatsächlich hatte ich nie Kokain probiert. Aber ich spürte, dass er mir das nicht glaubte. Sein anklagender Blick ähnelte dem alten Polizeitrick, bei dem man dem Verdächtigen sagt, es habe keinen Sinn zu leugnen, denn man habe die Beweise, um ihn zu überführen.
    Obwohl ich wusste, dass der Mann sich irrte, wurde ich rot. Und natürlich ergab der Test, dass ich bei der Kokain-Frage gelogen hatte. Meine Haut ist offensichtlich so dünn, dass sie sogar als Reaktion auf Fantasievergehen schwitzt!
    Wir stellen uns kühle Lässigkeit als Pose vor, die wir mit einer Sonnenbrille, einer lockeren Körperhaltung und einem Drink in der Hand demonstrieren. Aber diese sozialen Accessoires beruhen nicht auf Zufall. Wir haben dunkle Brillengläser, entspannte Körpersprache und Alkohol genau deshalb als signifikante Symbole gewählt, weil sie die Anzeichen eines überlasteten Nervenkostüms kaschieren. Eine Sonnenbrille verhindert, dass andere sehen können, wann sich unsere Augen vor Überraschung oder Angst weiten; aus Kagans Arbeit wissen wir, dass eine entspannte Körperhaltung geringe Reaktivität signalisiert; und Alkohol beseitigt unsere Hemmungen – und senkt unser Erregungsniveau. »Wenn Sie zu einem Football-Spiel gehen und jemand bietet Ihnen eine Dose Bier an«, erläutert der Persönlichkeitspsychologe Brian Little, »sagt er in Wirklichkeit: ›Hallo, trinken Sie eine Dose Extraversion.‹«
    Teenager verstehen instinktiv die Physiologie der Lässigkeit. In Curtis Sittenfelds Roman Eine Klasse für sich , in dem die Autorin mit ungeheurer Präzision die sozialen Rituale Heranwachsender im Internat darstellt, wird die Protagonistin Lee unerwartet in das Zimmer von Aspeth eingeladen, des lässigsten Mädchens auf der ganzen Schule. 14 Das Erste, was ihr auffällt, ist die Reizüberflutung, die in Aspeths Welt herrscht. »Von draußen hörte ich hämmernde Musik«, stellt sie fest. »Weiße Lichterketten, die pausenlos leuchteten, liefen oben an den Wänden entlang, und die Stirnwand zierte eine monströse orangegrüne Tapete … Ich fühlte mich überreizt und vage irritiert. Das Zimmer, das ich mir mit meiner Nachbarin teilte, erschien mir dagegen so still und nüchtern und unser Leben auch. War Aspeth schon lässig auf die Welt gekommen, fragte ich mich, oder hatte ihr das jemand beigebracht, vielleicht eine ältere Schwester oder eine Cousine?«
    In der Machokultur wird eine gering reaktive Physiologie ebenfalls als Zeichen der Lässigkeit wahrgenommen. Bei den ersten amerikanischen Astronauten galt ein niedriger Puls – der mit geringer Reaktivität in Verbindung steht – als Statussymbol. Lieutenant Colonel John Glenn, der als erster Amerikaner die Erde umrundete und sich später um das Präsidentenamt bewarb, wurde von seinen Kameraden für seinen superlässigen Puls beim Abheben bewundert.
     
    Aber ein physisches Defizit an Lässigkeit kann sozial wertvoller sein, als wir denken. Das tiefe Erröten, wenn sich ein gestrenger Prüfer Ihrem Gesicht bis auf ein paar Zentimeter nähert und Sie fragt, ob Sie je Kokain genommen haben, kann auch als eine Art sozialer Klebstoff interpretiert werden. In einem Experiment neueren Datums gab ein Team von Psychologen unter der Leitung von Corine Dijk sechzig Versuchspersonen Geschichten über Menschen zu lesen, die sich entweder moralisch falsch verhalten hatten, wie Fahrerflucht zu begehen, oder denen ein Missgeschick passiert war, wie jemandem Kaffee über die Kleidung zu schütten. 15 Den Versuchspersonen wurden Fotos vorgelegt, auf denen die Missetäter einen von vier möglichen Gesichtsausdrücken zeigten: Scham oder Verlegenheit (Kopf und Augen gesenkt), Scham/Verlegenheit plus Erröten, einen neutralen Gesichtsausdruck oder einen neutralen Ausdruck mit Erröten. Anschließend sollten sie auf einer Skala bewerten, wie sympathisch oder vertrauenswürdig die Personen auf den Fotos waren.
    Es stellte sich heraus, dass die Missetäter, die errötet waren, sehr viel positiver beurteilt wurden, als diejenigen, die nicht erröteten. Das liegt daran, dass das Erröten Interesse am Urteil anderer signalisiert. Wie der Psychologe Dacher Keltner von der Universität Berkeley, der sich auf positive Emotionen spezialisiert hat,

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