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Streuung von Charaktertypen, die von der natürlichen Auslese aufrechterhalten wird.«
Ein weiteres Beispiel für die Ausgleichstheorie bietet der in Trinidad beheimatete Guppy oder Millionenfisch. 21 Die Millionenfische entwickeln mit – aus evolutionärer Sicht – erstaunlicher Geschwindigkeit einen Charakter, um sich an das Mikromilieu anzupassen, in dem sie leben. Ihre natürlichen Feinde sind Hechte. Aber in einigen Siedlungsgebieten von Millionenfischen, zum Beispiel oberhalb eines Wasserfalls, gibt es glücklicherweise keine Hechte. Wenn ein Millionenfisch in solch einem begünstigten Milieu aufwächst, hat er, angepasst an sein Dolce Vita , einen eher forschen und sorglosen Charakter. Lebt die Millionenfisch-Familie dagegen in einer ungünstigen Umgebung unterhalb des Wasserfalls, wo es vor Hechten wimmelt, sind die Fische sehr viel umsichtiger, ein Verhalten, das genau richtig ist, um den Feinden zu entgehen.
Interessanterweise sind diese Unterschiede erblich bedingt und nicht erlernt, sodass die Nachkommen von forschen Millionenfischen, die in ein ungünstiges Milieu ziehen, das forsche Verhalten ihrer Eltern haben – selbst wenn ihnen das im Vergleich zu ihren wachsamen Artgenossen große Nachteile verschafft. Es dauert allerdings nicht lange, bis ihre Gene mutieren, sodass ihre Nachkommen, denen es gelingt zu überleben, zu den vorsichtigen Typen zählen. Eine ähnliche Entwicklung ist umgekehrt auch bei den wachsamen Millionenfischen zu verzeichnen, wenn die Hechte plötzlich verschwinden – es dauert nur etwa zwanzig Jahre, bis ihre Nachkommen sich völlig sorglos verhalten.
Die Ausgleichstheorie scheint auch für Menschen zu gelten. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Nomaden, die eine bestimmte Variante eines mit Extraversion (speziell mit der Suche nach Neuem) verknüpften Gens geerbt haben, besser genährt sind als jene ohne diese Genvariante. In sesshaften Populationen jedoch sind Menschen mit derselben Genvariante schlechter genährt. Ebendie Tendenzen, die einem Nomaden genug Kampfgeist einflößen, um zu jagen und das Vieh gegen Räuber zu schützen, erweisen sich möglicherweise als Hindernis bei sesshafteren Tätigkeiten, wie dem Ackerbau, dem Verkauf von Gütern auf dem Markt oder der Konzentrationsfähigkeit in der Schule.
Ein weiteres Beispiel: Extravertierte Menschen haben mehr Sexualpartner als Introvertierte – ein Vorteil für jede Art, die sich vermehren will –, doch sie begehen öfter Ehebruch und lassen sich häufiger scheiden. Extravertierte treiben mehr Sport, Introvertierte haben hingegen weniger Unfälle und traumatische Verletzungen. Extravertierte verfügen über ein größeres Netzwerk an sozialer Unterstützung, begehen aber mehr Verbrechen. Wie C. G. Jung vor fast hundert Jahren über die beiden psychologischen Typen schrieb: »Der eine Weg [Extraversion] ist die gesteigerte Fruchtbarkeit bei relativ geringer Verteidigungsstärke und Lebensdauer des einzelnen Individuums; der andere Weg ist: Ausrüstung des Individuums mit vielerlei Mitteln der Selbsterhaltung bei relativ geringer Fruchtbarkeit.« 22
Die Ausgleichstheorie kann sogar für ganze Arten gelten. Unter Evolutionsbiologen, die eher an die Theorie glauben, dass das einzelne Individuum unbedingt sein eigenes Erbgut weitergeben will, ist die Auffassung, dass Arten Individuen einschließen, die mit ihren Eigenschaften das Überleben der Gruppe fördern, heiß umstritten. Vor noch nicht allzu langer Zeit katapultierte man sich damit praktisch aus der Zunft. Doch allmählich erlangt diese Auffassung eine immer größere Akzeptanz. Einige Wissenschaftler vermuten, dass die evolutionäre Basis für Wesensmerkmale wie hohe Sensibilität erhöhtes Mitgefühl für das Leiden anderer Artgenossen, besonders der eigenen Familie, ist. Aber man braucht noch nicht einmal so weit zu gehen. Wie Aron erläutert, ist die Annahme, dass das Überleben einer Tiergruppe von ihren sensiblen Mitgliedern abhängt, durchaus plausibel. »Angenommen eine Antilopenherde … hat ein paar Mitglieder, die beim Grasen ständig innehalten, um mit ihren scharfen Sinnen nach Feinden Ausschau zu halten«, schreibt sie. »Herden mit so sensiblen, wachsamen Tieren würden besser überleben, sich entsprechend fortpflanzen, und auf diese Weise würden weiter einige sensible Tiere in die Gruppe hineingeboren werden.« 23
Warum sollte es bei Menschen anders sein? Wir brauchen unsere Eleanor Roosevelts so eindeutig wie grasende
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