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Titel: B00B5B7E02 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cain
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häufig und übertreten weniger Gebote als ihre Altersgenossen, selbst wenn sie glauben, dass sie nicht erwischt werden können. Mit sechs oder sieben, sagen ihre Eltern, haben sie starke moralische Empfindungen, wie etwa Empathie. Sie haben auch allgemein weniger Verhaltensprobleme.
    »Funktionale, moderate Schuldgefühle«, schreibt Kochanska, »können zukünftigen Altruismus, persönliche Verantwortung, angepasstes Verhalten in der Schule sowie harmonische, kompetente und uneigennützige Beziehungen zu Eltern, Lehrern und Freunden fördern.« 10 Das sind besonders wichtige Eigenschaften in der heutigen Zeit, in der eine 2010 an der Universität von Michigan durchgeführte Studie zeigt, dass die College-Studenten um 40 Prozent weniger einfühlend sind als vor dreißig Jahren, wobei der größte Rückgang seit dem Jahre 2000 zu verzeichnen ist. (Die Autoren der Studie vermuten, dass der Rückgang des Mitgefühls auf die Verbreitung der sozialen Netzwerke im Internet, des Reality-TVs und der »Hyper-Konkurrenz« zurückzuführen ist. 11 Was auch immer die Ursache sein mag, es ist interessant festzustellen, dass die Empathie bei College-Studenten rückläufig ist, während die Extraversion zunimmt.)
    Dass hochsensible Kinder diese Persönlichkeitsmerkmale haben, heißt nicht, dass sie Engel sind. Sie haben egoistische Züge wie alle anderen auch. Manchmal benehmen sie sich unnahbar und unfreundlich. Und wenn sie von negativen Emotionen, wie Scham oder Angst, überwältigt sind, sagt Aron, können sie die Bedürfnisse anderer Menschen regelrecht vergessen.
    Aber dieselbe Empfänglichkeit für Erfahrungen, die das Leben für Hochsensible schwierig machen kann, ist auch der Baustein für ihr Gewissen. Aron berichtet von einem pubertierenden Teenager, der seine Mutter überredete, einen Obdachlosen aufzunehmen, den er im Park kennengelernt hatte, und von einer Achtjährigen, die nicht nur weinte, wenn sie selbst sich bedrängt fühlte, sondern auch, wenn ein anderes Kind gehänselt wurde. 12
    Wir kennen diese Art Mensch gut aus der Literatur – vermutlich, weil so viele Schriftsteller selbst hochsensible Introvertierte sind. Er »war durchs Leben gegangen mit einer dünneren Haut als die meisten Menschen«, schrieb Eric Malpass über seinen stillen und nachdenklichen Protagonisten, ebenfalls Autor, in dem Roman The Long Long Dances . 13 »Die Sorgen anderer berührten ihn stark, und das galt auch für die pulsierende Schönheit des Lebens: Sie rührte ihn, zwang ihn, zum Stift zu greifen und über sie zu schreiben.« Es berührte ihn tief, in den Hügeln spazieren zu gehen, einem Impromptu von Schubert zu lauschen und abends in seinem Sessel die Kriegsgräuel zu sehen, die einen Großteil der 21-Uhr-Nachrichten einnahmen.
    Solche Charaktere als dünnhäutig zu beschreiben ist bildlich gemeint, aber tatsächlich kann man es ganz wörtlich nehmen. Zu den Tests, mit denen Wissenschaftler Persönlichkeitsmerkmale messen, gehört der Hautwiderstandstest, der aufzeichnet, wie sehr Menschen als Reaktion auf Geräusche, starke Emotionen und anderweitige Reize ins Schwitzen geraten. Hoch reaktive Introvertierte schwitzen mehr, gering reaktive Extravertierte hingegen weniger. Ihre Haut ist buchstäblich »dicker«, undurchlässiger für Reize, kühler beim Anfassen. Wie einige Wissenschaftler meinen, mit denen ich sprach, stammt daher der Ausdruck »ein kühler Mensch«. Je geringer reaktiv jemand ist, desto kühler ist seine Haut und desto mehr bewahrt er einen kühlen Kopf. (Übrigens liegen Soziopathen, bei denen die Erregbarkeit, der Hautwiderstand und die Angst extrem niedrige Werte aufweisen, am untersten Ende des Barometers der Kühle. Es gibt einige Belege dafür, dass Soziopathen einen gestörten Mandelkern haben.)
    Lügendetektoren beruhen weitestgehend auf der Messung des Hautwiderstands. Ihnen liegt die Theorie zugrunde, dass Lügen Angst erzeugt, was die Haut zum Schwitzen bringt. Als ich noch auf dem College war, bewarb ich mich einmal um einen Sommerjob als Sekretärin in einer großen Juwelierfirma. Als Teil der Bewerbung musste ich einen Lügendetektortest über mich ergehen lassen. Der Test wurde von einem schmächtigen Mann, einem Raucher mit pockennarbiger gelber Haut, in einem kleinen, trübe erleuchteten Raum mit Linoleumfußboden durchgeführt.
    Der Mann stellte mir anfangs eine Reihe unverfänglicher Fragen nach meinem Namen, meiner Adresse und Ähnlichem, um das Grundniveau meines Hautwiderstands

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