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Titel: B00B5B7E02 EBOK Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Cain
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Regierungsgeschäft aus und wie man vorgehen muss, um Dinge zu verbessern. Ich glaube, wir entwickelten mit der Zeit eine Art Teamarbeit.«
    Im Jahre 1932 wurde Roosevelt zum Präsidenten gewählt, zu einem Zeitpunkt, als die Weltwirtschaftskrise ihren Höhepunkt erreicht hatte. Eleanor bereiste das Land – in drei Monaten legte sie einmal 64 000 Kilometer zurück – und lieh ihr Ohr den einfachen Menschen, die über ihr Unglück klagten. Die Menschen öffneten ihr das Herz auf eine Weise, wie sie es bei anderen Mächtigen nicht taten. Sie wurde für Franklin zur Stimme der Entrechteten. Wenn sie von ihren Reisen zurückkehrte, teilte sie ihm oft mit, was sie gesehen hatte, und forderte ihn zum Handeln auf. Mit Eleanors Hilfe wurden Regierungsprogramme für halbverhungerte Bergleute in den Appalachen entwickelt. Sie drängte Roosevelt, Frauen und Afroamerikaner in seine Arbeitsbeschaffungsprogramme mit einzubeziehen. Und sie sorgte dafür, dass Marian Anderson am Lincoln-Denkmal singen durfte. »Sie lag ihm mit Angelegenheiten in den Ohren, die er in der Eile der Dinge vielleicht gern übersehen hätte«, sagt der Historiker Geoff Ward. »Sie hielt die Messlatte hoch. Jeder, der je mit ansah, wie sie ihm fest in die Augen blickte und sagte ›Nun, Franklin, du solltest …‹, vergaß das nie.«
    Die einst schüchterne junge Frau, die große Angst vor öffentlichen Auftritten gehabt hatte, fing an, das Leben in der Öffentlichkeit zu lieben. Eleanor Roosevelt wurde die erste First Lady, die eine Pressekonferenz abhielt, vor einem nationalen Parteikonvent sprach, eine Zeitungskolumne schrieb und im Radio zu Gast war. Später wurde sie amerikanische Delegierte bei den Vereinten Nationen, wo sie ihr ungewöhnliches Markenzeichen von politischer Kompetenz und hart erworbener Zähigkeit nutzte, um dazu beizutragen, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durchzusetzen.
    Sie überwand ihre Verletzlichkeit nie – ihr ganzes Leben lang litt sie an dunklen »Griselda-Stimmungen«, wie sie es nannte (benannt nach einer Prinzessin in einer mittelalterlichen Legende, die sich in Schweigen hüllte), und rang darum, »sich eine Haut so dick wie ein Rhinozeros zuzulegen«. »Ich bin der Auffassung, dass Menschen, die schüchtern sind, immer schüchtern bleiben werden, aber sie lernen damit umzugehen«, sagte sie.
    Es war vielleicht ebendiese Sensibilität, die es ihr erleichterte, mit den Armen und Entrechteten in Kontakt zu treten, und die ihr Gewissen so schärfte, dass sie sich für sie einsetzte. Roosevelt, der während der großen Wirtschaftskrise Regierungschef war, wird von der Nachwelt für sein Mitgefühl verehrt. Doch es war Eleanor, die dafür sorgte, dass er erfuhr, wie schlecht es den Amerikanern ging.
     
    Der Zusammenhang zwischen Sensibilität und Gewissen ist schon lange bekannt. Die Entwicklungspsychologin Grazyna Kochanska führte folgendes Experiment durch: Eine freundliche Frau reicht einem Kleinkind ein Spielzeug mit der Ermahnung, es solle sehr vorsichtig damit umgehen, weil dies eines ihrer Lieblingsspielzeuge sei. Das Kind nickt zum Einverständnis feierlich und beginnt zu spielen. Kurz danach bricht das vorher präparierte Spielzeug entzwei.
    Die Frau schaut entsetzt und ruft: »O je!« Dann wartet sie ab, was das Kind als Nächstes macht.
    Wie sich herausgestellt hat, fühlen sich einige Kinder sehr viel schuldiger für ihren (vermeintlichen) Fehler als andere. Sie schauen weg, legen die Arme schützend um sich, stammeln Entschuldigungen und schlagen die Hände vor das Gesicht. Es sind die sensibelsten, hoch reaktiven Kinder, jene, die sich vermutlich zu Introvertierten entwickeln, die sich am schuldigsten fühlen. Da sie ungewöhnlich sensibel auf jede Erfahrung reagieren, sowohl positiver als auch negativer Art, scheinen sie den Kummer der Frau zu empfinden, deren Spielzeug zerbrochen ist, wie auch die Angst, etwas Schlimmes getan zu haben. (Falls Sie das Experiment fragwürdig finden, sei angemerkt, dass die Frau im Experiment rasch mit dem »reparierten« Spielzeug in den Raum zurückkam und das Kind beruhigte, dass es nichts falsch gemacht habe.)
    In unserer Kultur ist Schuld ein negativ besetztes Wort, doch es scheint einer der Bausteine des Gewissens zu sein. Die Angst, die diese hochsensiblen Kinder empfinden, wenn sie vermeintlich das Spielzeug entzweibrechen, motiviert sie, beim nächsten Mal besser aufzupassen. Im Alter von vier Jahren mogeln diese Kinder Kochanska zufolge nicht so

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