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Man fügte hier und dort ein Gesetz hinzu, und die Situation war zu kompliziert, weil es kein zentrales System gab, das jedes Mal konsultiert wurde, um die Vereinbarkeit der einzelnen Bestandteile sicherzustellen. Napoleon stand in Frankreich vor einer ähnlichen Situation und schaffte sie aus der Welt, indem er eigenmächtig einen hierarchischen Rechtskodex erließ, der umfassende logische Folgerichtigkeit zwingend vorschrieb. Das Problem mit uns Menschen ist weniger, dass bisher kein Napoleon auf der Bildfläche erschienen ist, der die alte Struktur wegsprengt und unser Gehirn dann neu konstruiert, sondern dass unser Verstand komplizierter ist als ein Rechtssystem und weitaus höheren Effizienzanforderungen genügen muss.
Unser Gehirn reagiert nämlich unterschiedlich auf die gleiche Situation, je nachdem, welches Kapitel wir aufschlagen. In Ermangelung eines zentralen Verarbeitungssystems treffen wir Entscheidungen, die miteinander in Konflikt stehen können. Sie mögen vielleicht Äpfel lieber als Orangen, Orangen lieber als Birnen, aber Birnen lieber als Äpfel – es kommt darauf an, wie Ihnen die Alternativen präsentiert werden. Zurückzuführen sind solche Voreingenommenheiten auf die Tatsache, dass unser Gehirn nicht sofort alles behalten und verarbeiten kann, was wir wissen. Ein zentrales Merkmal einer Heuristik ist ihre Logikblindheit.
»Ich bin so gut wie mein letzter Deal« und andere Heuristiken
Börsenbezeichnung
Gelehrte Bezeichnung
Beschreibung
»Ich bin so gut wie mein letzter Deal«
Prospect Theory
Betrachtung von Unterschieden, nicht absoluten Größen, und Zurücksetzen auf einen spezifischen Bezugspunkt
»Soundbite-Effekt« »Ängste ausblenden«
Affektheuristik; Risikoals-Gefühl-Theorie
Menschen reagieren auf konkrete und sichtbare Risiken, nicht auf abstrakte
»Es war so offensichtlich« bzw. Montagmorgen- Quarterback
Rückschaufehler (Hindsight Bias)
Rückblickend erscheint vieles vorhersehbarer
»Sie hatten Unrecht«
Glaube an das Gesetz der kleinen Zahlen
Induktive Trugschlüsse; voreilige allgemeine Schlüsse
Brooklyn-Cleverness vs. MIT-Intelligenz
Doppelte Logiksysteme
Das arbeitende Gehirn entspricht nicht ganz dem logischen
»So weit wird es nie kommen«
Übersteigertes Selbstvertrauen Erfolgswahrscheinlichkeit
Risikoübernahme aus Unterschätzung der
In der Fachliteratur existieren viele verschiedene Kataloge dieser Heuristiken (die sich oft auch überschneiden); an dieser Stelle geht es nicht um ihre Auflistung, sondern eher darum, die hinter ihrer Bildung stehenden Intuitionen offen zu legen. Lange Zeit wussten wir Börsenhändler nicht das Geringste über die Verhaltensforschung und erlebten Situationen, in denen mit seltsamer Regelmäßigkeit ein Keil zwischen die simple probabilistische Logik und die Wahrnehmung der Menschen getrieben wurde. Wir fanden dafür Namen wie »Ich-bin-so-gut-wie-mein-letzter-Deal-Effekt«, »Soundbite-Effekt«, »Montagmorgen-Quarterback«-Heuristik und »Im-Nachhinein-ist-es-so-offensichtlich«-Effekt. Festzustellen, dass es diese Phänomene in der Heuristikliteratur als »Ankerheuristik«, »Affektheuristik« und »Rückschaufehler« gibt, rettete zwar einerseits den Stolz der Börsenhändler, war zugleich aber auch enttäuschend (es gab uns das Gefühl, der Börsenhandel sei die wahre experimentelle wissenschaftliche Forschung). Eine Brücke zwischen den beiden Welten schlägt Tabelle 1 .
Beginnen möchte ich mit der Heuristik »Ich bin so gut wie mein letzter Deal« (»Verlust der Perspektive«). Dabei wird der Zähler auf null zurückgesetzt und an einem neuen Tag oder Monat ganz von vorne angefangen – ob dies Ihr Buchhalter oder Ihr Verstand macht. Das ist die signifikanteste Verzerrung mit besonders weit reichenden Folgen. Um den Gesamtzusammenhang sehen zu können, hat man nicht sein ganzes Wissen jederzeit im Kopf präsent – also kramt man unsystematisch die Bruchstücke hervor, die man zu einem bestimmten Zeitpunkt braucht. Dadurch werden diese Wissensbrocken in den lokalen Kontext gesetzt. Man hat also einen willkürlichen Bezugspunkt und reagiert auf Unterschiede von diesem Punkt aus. Vergessen wird dabei, dass man diese Unterschiede lediglich aus dieser lokalen Perspektive und nicht aus absoluter Sicht betrachtet.
Eine bekannte Börsenmaxime lautet: »Das Leben ist inkremental.« Meinen Recherchen zufolge geht sie zurück auf den erfahrenen Optionshändler Bill Johnson. Als Anleger würden Sie Ihre Leistung wie der Zahnarzt
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