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die sie zulassen könnte.
»Signor Loredan, das muss doch nichts heißen«, wendet sie sich endlich dem alten Herrn zu, der neben ihr auf einem Gartenstuhl sitzt und aufgeregt auf sie herabschaut. Die Lichter der Boote spiegeln sich auf der Lagune, und Eleni hat viel mehr Lust, sich den Täuschungen und Hoffnungen Venedigs hinzugeben, als den alten Loredan zu besänftigen.
»Ich schwöre Ihnen, Signora«, sagt er schwerfällig, »die Dame war Ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten!«
»Möchten Sie nicht auch etwas bestellen?« Eleni wird plötzlich nervös. Am liebsten würde sie aufspringen und umhergehen, um die Spannung in ihrem Inneren loszuwerden. Das ist seit jenem verhängnisvollen Frühlingstag leider unmöglich. Eleni Tsiadis hat es sich angewöhnt, ihrer Umwelt wenig von ihren wahren Gefühlen zu zeigen. Aus Vorsicht, man hat selten unter Kontrolle, was man preisgibt, und sie ist eine Frau, die besser mit den Dingen hinter dem Berg hält, bei allem, was war. Nonchalant winkt sie dem Kellner. »Bitte bringen Sie dem Herrn einen Sprizz.«
Loredan windet sich. Sein Anzug ist zerknittert. Neben ihm liegt sein geliebter Hut. Diese Passion teilt sie mit dem Alten: Sie beide vergöttern Hüte.
Rolando Loredan knüpft seine Familienlinie bis zurück zum Dogen Alvise Loredan. Eleni hat nachgeforscht und festgestellt, dass er aus einer unehelichen Beziehung stammt und insofern – wenn man den Konservatismus der venezianischen Adelsfamilien berücksichtigt – zumindest das schwarze Schaf, wenn nicht ein Outlaw ist. Aber das ist Eleni auch. Zwei Gemeinsamkeiten, denkt sie lächelnd. Nein, drei: Rolando Loredan liebt die Kunst, er gibt sein Vermögen dafür her, seine ganze Kraft, seine Liebe. Er ist einer ihrer schillerndsten und zugleich devotesten Förderer – und er ist unglaublich gut im Herstellen von Kontakten mit Sammlern und Stiftungen. Elenis Herkunft aus einer armen, griechischen Fischerfamilie fordert ihn heraus, ihre Krankheit und ihr Nomadentum zwischen Europa und Amerika.
Mein ganzes Leben ist ein Kunstwerk, findet Eleni. Man soll sich auf Lorbeeren nicht ausruhen, aber mittlerweile bin ich doch stolz auf mich.
Loredan ist ein Herr alter Schule. Normalerweise betreibt er mit Leichtigkeit Konversation, plaudert höflich, verbreitet eine legere Atmosphäre um sich, in der Eleni sich gern entspannt. Heute ist er aufgewühlt, und seine antrainierte Verbindlichkeit, sein Charme entgleiten ihm.
»Sie sah so aus wie Sie, Signora. Eleni. Verehrte Eleni.« Er streckt die Hand aus, als wollte er Elenis Schulter berühren.
Obwohl er sie nervt mit seiner betulichen Art, darf sie ihn auf keinen Fall verärgern. Er hat enormen Anteil an der Ausstellung hier in Venedig. In der Kunst mischt er überall mit, er kennt sämtliche potenten Kunstfanatiker Italiens.
»Auf Doppelgänger kann man überall und zu jeder Zeit stoßen«, sagt Eleni leichthin. »Das ist nichts Besonderes!«
»Das Gesicht dieser jungen Dame … ich hätte schwören können …«
Eleni hebt ihr Glas und prostet Loredan zu. Er geht ihr unendlich auf den Geist.
»Auch das Haar. Also … mit … nun …« Loredan ringt nach Atem. Er trinkt einen Schluck, stellt das Glas ab, fingert nach einem Taschentuch und wischt sich über die Stirn. »Liebe Eleni, sogar die Haarfarbe stimmte, und wie sie mich ansah, als ich ging! Ich blickte nur kurz zu ihr, aus Höflichkeit, sie saß auf derselben Bank im Museum. Ich ahnte ja nicht … ich …« Er lockert seine Krawatte. »Es waren nicht die Einzelmerkmale, die mich irritierten, sondern die ganze Person. Persönlichkeit, wenn ich sagen darf.«
»Aha …« Eleni pustet die beiden Silben in die Luft. Das ist eines seiner manipulativen Spielchen, zu denen der Alte einen Hang hat, und die Eleni bisweilen notgedrungen mitspielt. »Haben Sie mit ihr gesprochen?« Dass sie ihr Haar seit Jahren färben lässt, und dass ihr Londoner Friseur exakt ihren Naturton trifft, das geht Loredan nichts an.
»Ich hätte es gerne, muss ich zugeben, sehr gerne.« Loredan hustet, trinkt noch einen Schluck. »Sie war mit einem Begleiter da. Die beiden sprachen Deutsch.«
»Ach so …« Eleni senkt ihre Stimme, als wäre damit alles gesagt. Sie spricht in der Öffentlichkeit nie Deutsch, nur Griechisch und Englisch und ein bisschen Italienisch, das sie sich auf ihren vielen Reisen angeeignet hat.
»Ja, nun, das … muss nichts heißen.« Er holt mit dem Arm aus, als wolle er die Boote, die im Schatten
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