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versinkende Insel San Giorgio und ganz Venedig zusammenschieben und in die Lagune fegen.
»Lieber Signor Loredan. Sie wurden Opfer eines Trugbildes. Nicht wahr?« Kokett blinzelt sie ihn an. Worauf will er hinaus? Er hat so etwas Kriecherisches an sich, das sie unerträglich abstoßend findet.
Der Italiener lächelt verlegen. »Mag sein. Ich … natürlich … ich bin eigentlich gekommen, um mit Ihnen über die Finissage zu sprechen.«
Er hat sich wieder im Griff, denkt Eleni.
»Dieser Farin vom Journalistenverband«, bemerkt Loredan, »er spricht mich häufig auf Sie an.«
Eleni wird mulmig.
»Ein paar Magazine wollen ein Porträt über Sie bringen. Verehrte Eleni«, er lächelt, »würden Sie zu einem Interview bereitstehen? Wir wählen natürlich das Blatt mit den besten Konditionen aus.«
»Darüber haben wir doch schon geredet.« Sie legt die Hand auf ihr Herz, während sie immerfort Loredan anlächelt. »Ich gebe so selten wie möglich Interviews, und wenn, dann aus dem Augenblick heraus. Nicht geplant. Und schon gar nicht über mein Privatleben.«
»So verstehen Sie doch! Das Private reizt die Leute am meisten.«
»Das ist billigster Journalismus«, erwidert Eleni barsch. »Gerade weil ich mich nicht für die Medien verschlissen habe, findet man mich heute noch interessant.«
Loredan seufzt. »Sie haben recht. Es geht um Ihre Kunst, nicht um Ihre Person.«
Eleni kann aus unerklärlichen Gründen seinem Blick nicht standhalten. Ihre Augen schweifen hinüber nach San Giorgio. Wie sehr sie Venedig liebt! Es ist eine Stadt, die genau ihren Nerv trifft. Exakt die richtige Mischung aus morbider Sehnsucht nach dem Tod und italienischer Lebenslust. Sie muss unbedingt in Italien vor Anker gehen. Für ihre Gesundheit wäre es allemal besser. Im feuchtkalten Wetter Englands nehmen die Schmerzen zu, und Besserung ist nicht zu erwarten. Loredan würde ihr sicher behilflich sein. Geld genug hat sie. Und muss sie überhaupt noch ausstellen?
»Jedoch«, Loredan räuspert sich, »tauchte da ein seltsames Gerücht auf.«
»Ein Gerücht?« Eleni will nach ihrem Glas greifen, aber sie spürt, dass ihre Hände zu zittern beginnen. Sie lässt den Arm sinken und fragt: »Was denn für ein Gerücht, lieber Loredan?«
Loredan presst die Lippen zusammen.
Er ist ein guter Schauspieler, denkt Eleni. Tut so, als fällt es ihm schwer, auszusprechen, was er zu sagen hat; in Wirklichkeit genießt er den Augenblick der Macht. Wer wie sie etwas zu verbergen hat, lebt für immer in der Angst, dieses Etwas könnte entdeckt werden. Obwohl es so sorgfältig versteckt ist. Obwohl man so viel geopfert hat, um das Geheimnis zu hüten.
»Es geht um Ihre Vergangenheit«, sagt Loredan.
Eleni weiß, dass er ein notorischer Lügner ist, wenn es ihm darum geht, seine Ziele zu erreichen. Ziemlich oft sind seine und ihre Ziele identisch. Rolando Loredan ist ein As im Umgang mit Sammlern, Galeristen, Museumsstiftungen und Kulturämtern. Sofern er dieses Volk auf Eleni aufmerksam machen soll, nutzt sie seine nachgerade pathologische Manipulationslust durchaus für ihre eigenen Interessen.
»Meine Vergangenheit ist ein Haufen schrottreifer Erinnerungen. Ich habe nicht die Absicht, darüber zu sprechen. Schon gar nicht mit der Presse.« Sie braucht sich gar nichts vorzumachen. Sollte Loredan von irgendetwas Wind bekommen haben, und sei es nur ein Tipp von einem Reporter, hat er sich bereits informiert und alle Möglichkeiten ausgelotet, um das Maximale aus seinem Wissen herauszuholen. Das meiste Geld und die größtmögliche Sensation.
»Ich vertraue Ihnen, werte Eleni.« Loredan rückt an seiner Krawatte. Sein Blick liegt lauernd auf ihr. »Aber wenn die Presse irgendetwas auspackt, was völlig blödsinnig ist, eine erfundene Geschichte, dann …«
»Lassen Sie die Schmierfinken schreiben, was sie wollen. Jede Publicity ist gute Publicity.« Sie merkt selbst, wie aggressiv sie klingt. Verdammt, sie muss sich beruhigen. Loredan hat gute Antennen, er hat bestimmt längst gespürt, wie aufgewühlt sie plötzlich ist.
»Es gibt eine Schwelle, die man nicht überschreiten sollte, Eleni.« Er beugt sich vor und legt eine Hand auf ihre. Sie muss sich zusammenreißen, um ihn nicht voller Abscheu abzuschütteln. »Einen Skandal brauchen wir nicht. Wir beide nicht.«
Sie schweigen eine Weile. Schließlich gibt Eleni sich einen Ruck. Sie plaudert mit ihm. Über die Finissage und wie lange sie in Venedig bleiben will. Ja, sie hat sogar große Lust,
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