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sich länger in Italien aufzuhalten, antwortet sie auf seine Frage. Vielleicht wird sie in die Toskana reisen. Lange war sie nicht in Florenz. Es wäre eine schöne Abwechslung vom Alltag in London, wo sie viel zu arbeiten haben wird, neue Projekte, eine neue Ausstellung, irgendwann, nächstes Jahr, zuerst in London und im Anschluss daran in Edinburgh, das schottische Publikum liebt Eleni Tsiadis, die Südländerin. Sie redet sich um Kopf und Kragen. All ihre Tagträume, die eben so zauberhaft über der abendlichen Lagune schwebten, scheinen abgesoffen. Manchmal, denkt Eleni, ist mir alles zu viel. Tagein, tagaus vorausdenken, vorausplanen, vorausmalen. Sich am Markt orientieren. Stimmungen abschätzen. Wie lange wird man sich noch für Eleni Tsiadis interessieren? Wie viele Bilder wird sie noch zu horrenden Preisen verkaufen, an Leute, die Blau nicht von Grün unterscheiden können? Und wie lange wird Loredan auf ihrer Seite stehen, ohne den sie nie so weit gekommen wäre? Dem sie einen Großteil ihres Erfolges verdankt? Wie auch ihrer so einprägsam wie gefühlvoll zurechtgebastelten Lebensgeschichte, die sie mit gerade so vielen Details aufgehübscht hat, dass sie dramatisch wirkt, aber kaum nachprüfbar ist.
Loredans Blick ruht auf ihr. Sie fühlt sich nackt. Schlagartig bemerkt sie, dass ihr die Möglichkeit, Loredan fände sie als Frau attraktiv, bislang nie in den Sinn kam.
»Florenz«, sagt sie, »ist im Winter erträglicher als im Frühsommer. Zur Hochsaison hat man kaum eine Chance, in die Uffizien zu kommen, ohne stundenlang zu warten, und in meiner Verfassung …«
»Ich würde selbstverständlich dafür sorgen, dass Sie außerhalb der offiziellen Zeiten hineinkönnten. Kommt gar nicht infrage, dass Sie warten müssen!«
»Das wäre natürlich«, Eleni senkt die Lider, um Dankbarkeit zu signalisieren, »das wäre natürlich fantastisch. Lieber Loredan, was wäre ich ohne Sie?«
Er lacht auf, verlegen, geschmeichelt. Das Lauernde in seinen Augen bleibt.
»Wir werden sehen«, fährt Eleni fort. »Ich warte auf eine Nachricht von meinem Arzt in Philadelphia. Ich war lange nicht zur Untersuchung …«
»Gewiss. Ihre Gesundheit ist das Wichtigste.« Loredan stellt sein Glas ab. Das Eis ist längst geschmolzen, und der alte Mann, der kaum Alkohol verträgt, ist beschwipst.
Eleni hat nicht die Absicht, in die USA zu fliegen. Der Arzt, von dem sie spricht, ist eine Figur aus ihrer Fantasie. Eine Alibikarte, die sie bei Bedarf zückt. Nein, sie will nach Deutschland, so schnell wie möglich. Nicht ausgeschlossen, dass sie danach nach Italien zurückkehrt. Aber zunächst will sie den morgigen Tag auf sich zukommen lassen.
Wenig später verabschiedet Loredan sich mit Handkuss. Der Hut sitzt ein ganz klein wenig schief auf seinem Kopf, als er mit einem kalten Lächeln auf den Lippen die Terrasse verlässt. Eleni winkt nach dem Kellner, sie braucht einen zweiten Sprizz. Loredan hat sein Gift in genau der richtigen Dosis verspritzt, und das weiß er. Sie wird über seine Worte nachdenken, und er wird auf seine Aussage zurückkommen, auf die zwischen den Zeilen schwimmende Anspielung. Er könnte sie gegenüber der Presse in eine heikle Situation bringen.
Kann er etwas wissen?, fragt sich Eleni.
Niemand kann irgendetwas wissen. Nicht einmal ahnen. Ihr Leben ist perfekt designt.
Seufzend klappt sie das Notebook auf, das sie neben den Liegestuhl gelegt hat. Eine Partie Backgammon und sie hat die nötige Bettschwere.
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Sam trägt ein Kleid, natürlich von Luna. Sie haben es gemeinsam geschneidert, nach Lunas Entwürfen. Es ist knielang, nachtblau, umspielt Sams runde Hüften und hat tiefgrüne Paspelierungen am Ausschnitt, der eine schlüssellochartige Form aus Sams Dekolleté schneidet. Sie hat gar nicht daran gedacht, Schmuck mitzubringen, als sie gestern überhastet aufbrach. Und die Pumps hat sie mit Roman zusammen noch rasch in einem kleinen Laden in San Polo gekauft. Es sind giftgrüne Peep Toes, Schuhe, wie Sam sie normalerweise nie trägt, doch die Finissage im Peggy-Guggenheim-Museum ist nichts Normales, findet Sam.
Das Gefühl, beobachtet zu werden, haftet an ihr wie ein unangenehmer Geruch. Sie entschließt sich, es zu ignorieren. Wider Erwarten hat sie tief und fest geschlafen, bis früh am Morgen die venezianische Müllabfuhr lärmend die Tonnen unter ihrem Fenster leerte.
Es ist ein wunderschöner Tag. Sommerlich, duftend, sonnenverwöhnt. Ihr Rückflug geht spät am Abend, sie und Roman
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