Babel 1 - Hexenwut
wider, was sie empfand. Es kam ihr vor, als hätte sie ein wichtiges Puzzleteil umgedreht, in dem zur Abwechslung sogar der Teil eines Bildes zu erkennen war und nicht nur eine Farbfläche. Das Problem war nur, dass ihr nicht gefiel, was sie sah.
»Es war kein einfacher Einbruch, Tom. Die Hexe hat Hilfe. Von einem Menschen.«
Damit hatten sie nicht gerechnet. Frustriert fuhr sie sich durch die Haare. »Verdammt.« Der zweite Fehler, den sie befürchtete, war ihr bereits unterlaufen: ganz am Anfang, als sie geglaubt hatten, es würde sich um einen Einzeltäter handeln.
Und da war auch noch dieses Etwas, das am Rand ihres Be-wusstseins lauerte und sie dazu gebracht hatte, die Spur des Einbrechers aufzunehmen. Eine Wahrnehmung. Eine Erinnerung, ausgelöst durch den Anblick des Einbrechers, an seine Statur und wie er vor ihr weggerannt war ... Etwas daran war ihr bekannt vorgekommen.
Der Rücken, das Kribbeln auf der Kopfhaut und dieses merkwürdige Gefühl, das seit Tagen auftauchte ...
Ihr fiel der Mann ein, der ihr Haus beobachtet hatte, als sie mit Tamy davongefahren war. Ob es derselbe war? Wenn das stimmte, hatte die andere Hexe ihren Helfer schon die ganze Zeit auf Babel angesetzt.
Aber warum? Um die Konkurrenz auszuspionieren? Den
Kampf um die Energien vorzubereiten? Hätte Clarissa dann nicht etwas gemerkt, wenn sie jemand beobachtet hätte? Babel konnte sich nicht vorstellen, dass eine Hexe Clarissa unbeobachtet ließ.
Ein lähmender Gedanke drängte sich in den Vordergrund. War es am Ende genau das? Die Vorbereitung eines Hexenkriegs und das Anschaffen von Waffen? Wollte dieser neue Spieler Dämonen auf die Hexen dieser Stadt jagen, um sie so auszuschalten? Wenn das tatsächlich der Fall war, würde sie mehr als nur die üblichen Zauber brauchen, um sich dagegen zu schützen.
Feuer bekämpft man am besten mit Feuer.
Und Dämonen mit dämonischer Energie.
Bei der Vorstellung, wieder auf Dämonenenergie zugreifen zu müssen, wurde Babel übel, und fast hätte sie sich übergeben. Zitternd griff sie nach Toms Hand, als könne er ihr ein Anker sein.
Dieser Plag mit seinen Ohrringen und Piercings, der so menschenfreundlich ist und für alles Verständnis hat, selbst für eine Hexe?
Warum nicht?
Gemeinsam starrten sie in die Richtung, in der das Auto verschwunden war, bis es plötzlich hinter ihnen hupte. Ein DHL-Wagen wartete darauf, dass sie von der Straße gingen.. Ungeduldig gestikulierte der Fahrer.
»Komm«, sagte Tom und zog sie zum Haus zurück. »Lass uns nach Hause gehen. Hier können wir nichts mehr machen.«
Wie betäubt folgte sie ihm.
Was bist du so überrascht, Babel? Hast du wirklich geglaubt, es würde nie der Tag kommen, an dem eine Hexe mal ernst macht? An dem sie tatsächlich das nutzt, was sie hat? Gebrochene Rippen, magische Prügeleien - das ist doch alles gar nichts im Vergleich dazu, einen Menschen zu töten ...
Macht.
Darum geht es immer, und tu doch nicht so, als wäre dir dieser Gedanke völlig fremd.
Inzwischen hatte sich der Himmel zugezogen. Die Sonne verbarg sich hinter schnell ziehenden Wolken, und die Luft roch nach Regen. Als Babel die Maschine vor ihrem Haus parkte und Toms Wagen hinter ihr in die Parklücke fuhr, war sie bereit, den Tag als beendet zu betrachten. Die Fahrt auf den löchrigen Straßen war alles andere als schmerzstillend gewesen. Mit zusammengebissenen Zähnen stieg sie von ihrem Motorrad.
»Ein Bier, eine heiße Dusche und eine Massage. Und zwar in dieser Reihenfolge. Für heute habe ich wirklich genug.«
In dem Augenblick, in dem sie das Gartentor aufschloss, bemerkte sie jedoch die Gestalt, die auf dem unteren Ast ihres Apfelbaums saß und zu ihr herüberstarrte, als gäbe es den Zauber auf dem Haus gar nicht.
Bei seinem Anblick seufzte Babel. »Du hast mir gerade noch gefehlt.« Mürrisch winkte sie Peking herunter. »Das ist nicht mal eine Eiche, und wir sind hier auch nicht in Dresden.«
Tom, der neben sie getreten war, folgte ihrer Blickrichtung, während Peking mit einem breiten Grinsen behände wie ein Affe vom Baum kletterte und auf den Boden sprang. Er hatte zwar etwas Farbe gewonnen seit ihrer letzten Begegnung, doch in seinen Augen saß noch derselbe irrlichternde Blick wie zuvor. Das rote Haar bildete einen unangenehmen Kontrast zu seiner Haut.
Babel schob das Tor auf, und Tom versuchte, sich Peking zu nähern, aber der wich ihm aus und brachte Abstand zwischen sie.
»Was machst du hier?«, fragte Tom und verschränkte die
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