Babel 1 - Hexenwut
hatte. Seine dritte in der Stadt, wie sich herausstellte.
»Die Geschäfte laufen offenbar gut.«
»Kann man so sagen.«
»Dann hat es sich ja gelohnt, dass du dich so oft geprügelt hast, nicht wahr. Man könnte glatt vermuten, es war so was wie deine Ausbildung.« Die Spitze konnte sie sich nicht verkneifen, aber er ging nicht darauf ein, sondern grinste nur.
In seiner Stimme schwang Stolz mit, als er von seinem Geschäft erzählte, und für eine Weile war das Gespräch leicht, als gäbe es weder die Vergangenheit, die sie bedrückte, noch die Verstrickungen der Gegenwart. In der Enge des Wagens konnte sie fast glauben, dass sie nur zwei ganz normale Menschen waren.
Kurz nach zwölf ergoss sich endlich ein Menschenstrom aus dem Gebäude.
»Pünktlich wie ein Uhrwerk«, sagte Sam sarkastisch. »Der Hunger treibt sie raus.«
Spielerisch schlug ihm Babel gegen den Arm. »Pass lieber auf. Deine Stalkertendenzen sind hier mal ganz nützlich.«
Sie hatte das Foto von der Website ausgedruckt und auf das Armaturenbrett zwischen ihnen gelegt. Neumanns Gesicht war darauf zu einer Maske erstarrt, die jenen verkrampften Zug trug, der immer entstand, wenn ein Fotograf rief: »Drehen Sie mal Ihre Schulter hierhin und den Kopf dorthin, und jetzt beugen Sie den Hals ... Ja, so ist es gut, das sieht sehr natürlich aus.«
Nichts an dem Foto kam Babel sonderbar vor. Der Mann sah aus wie viele andere auch, und fast kam sie sich albern vor, hier auf ihn zu warten. Aber sie wollte Gewissheit haben, deshalb blieb sie sitzen und beobachtete weiter den Eingang.
Schließlich war es Sam, der Neumann als Erster sah. »Da.« Er zeigte mit dem Finger auf einen Mann, der gerade das Gebäude verlassen hatte und mit zwei Frauen den Platz überquerte. Sie waren in ein reges Gespräch vertieft. Nichts deutete darauf hin, dass Neumann nervös war oder damit rechnete, beobachtet zu werden.
Er war ein durchschnittlich aussehender Typ, vielleicht einen halben Kopf größer als Babel, schlank und mit braunem Haar, in Jeans und Hemd gekleidet. Ein Mann, wie man ihm dutzendfach begegnete. Sie beobachteten, wie die Gruppe in eine Seitenstraße einbog, und Babel griff nach dem Beutel Holzasche in ihrer
Jacke. »Fahr ihm hinterher und langsam an ihm vorbei, ich will mir sein Energienetz ansehen.«
Sie fuhr die Scheibe herunter, während Sam den Wagen startete und in die Straße einbog, in der Neumann verschwunden war. Es war eine schmale Gasse, in der mehrere Restaurants, Cafes und Kneipen nebeneinanderlagen. Zur Mittagszeit waren sie durch die Angestellten umliegender Firmen gut besucht, und ein paar Mutige hatten sogar schon an den Tischen im Freien Platz genommen, weil die Mittagssonne die Bänke wärmte.
Neumann und seine Kolleginnen schienen unentschlossen, was die Lokalwahl betraf. Als sie vor einem japanischen Restaurant stehen blieben und die Karte studierten, sagte Babel: »Jetzt«, und Sam fuhr dicht am Bürgersteig an Neumann vorbei. Sie lehnte sich aus dem Fenster, aktivierte die Magie und pustete die Asche in Neumanns Richtung.
Das Energienetz der beiden Frauen zeigte keine Besonderheiten, und auch Neumanns Netz war das eines normalen Menschen. Trotzdem zuckte Babel bei seinem Anblick zurück, als hätte sie eine Schlange gebissen.
Hinter den rot pulsierenden Energielinien waberten weiße Felder, die wie Nebel aussahen, der hinter dem Gitter der Energielinien gefangen war. An den Händen waren die Nebelwolken besonders dicht, aber auch im Herzbereich. Das Weiß umgab Neumann wie eine zweite Haut und ließ ihn dahinter blass und unwirklich aussehen, fast wie einen Geist. Ihr wurde übel.
Totenenergie.
Entsetzt sog Babel Luft ein und presste sich gegen den Sitz. Der Wagen war inzwischen an Neumann vorbeigefahren, und Sam steuerte die nächste Parklücke an, nur wenige Meter von der Gruppe entfernt. Im Rückspiegel beobachtete er Neumann. Dabei verengten sich seine Augen zu Schlitzen, als wäre er eine Raubkatze kurz vorm Angriff.
»Das ist der Täter ...«, flüsterte Babel.
»Bist du sicher?«
»Die Totenenergie klebt förmlich an ihm ...«
»Vielleicht ist es alte Totenenergie.«
Sie warf ihm einen Blick zu. »Ich erkenne frische Totenenergie, wenn ich sie sehe, Sam.«
Seit ich sie das erste Mal an dir gesehen habe.
Das war also der Mann, der vier Leute umgebracht hatte. Der all diesen Kummer und die Verzweiflung über die Plags gebracht hatte.
Ein Geist.
Sie dachte an Carla und daran, dass Mo sie vermisste, und
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