Babel 1 - Hexenwut
etwas zu lernen gestanden hatte. Diese Nachgiebigkeit in den Augen, die fast Mitleid in ihr ausgelöst hatte ... Konnte sie sich wirklich so in ihm getäuscht haben? Hatte er sie etwa nur deshalb gebeten, ihm zu helfen, um in ihre Nähe zu kommen?
Stell dir vor, du wärst auf sein Anliegen eingegangen und hättest ihn in dein Haus gebracht.
Eine nervöse Unruhe umgab ihn. Mikhail redete auf ihn ein, aber Nikolai schüttelte wiederholt den Kopf. Seine Haltung war gebückt und eingeschüchtert, und es fiel Babel schwer, in ihm den großen Manipulator zu sehen, der er offenbar war.
»Ich kenne ihn. Er heißt Nikolai.«
Sam warf einen Blick in den Rückspiegel. »Hier sind zu viele Menschen. Du solltest ihn nicht auf offener Straße angreifen. Das erzeugt zu viel Aufmerksamkeit.«
»Ich muss mit ihm reden.« Bevor Sam sie davon abhalten konnte, stieg sie aus. Hinter sich hörte sie ihn fluchen und dann die zweite Autotür klappen. Nach nur wenigen Schritten reagierte ihr Netz auf Nikolai, und auch er zuckte zusammen.
»Was ...« Zielsicher drehte er sich zu ihr um. Mikhail folgte seinem Blick.
Als Nikolai Sam erblickte, weiteten sich seine Augen überrascht. Sie konnte sein Netz deutlich spüren, ihre Energien glitten an den Passanten vorbei auf ihn zu. Babel drehte die Magie auf, bis sie auf Nikolai wie ein riesiges Warnschild wirken musste. Nikolai taumelte zurück, versuchte aber nicht zu fliehen. Ihre Energien gruben sich in sein Netz, hielten ihn fest, und sie spürte, wie sein schwacher Widerstand nachgab.
Ich hab dich.
Sie war nur noch wenige Armlängen von ihm entfernt, als sich Mikhail plötzlich umdrehte und die Straße hinunterrannte. Erschrocken sah Nikolai ihm nach, aber er rührte sich nicht von der Stelle, denn er wusste, wenn er sich auch nur einen Zentimeter bewegen würde, würde Babel sein magisches Netz zerfetzen.
»Soll ich ihm hinterher?«, fragte Sam, aber Babel schüttelte den Kopf.
»Zu viele Leute. Wir wissen, wer er ist, den Kerl kriegen wir. Ich muss zuerst mit Nikolai reden.« Bei ihm angekommen, packte sie ihn am Arm und drückte ihn an den Wagen. Es war ihr gleich, was die Leute dachten, die irritiert die Köpfe umwandten.
»So sieht man sich wieder, Kleiner. Willst du mir vielleicht was erzählen? Zum Beispiel, warum dein Bruder nach Totenenergie stinkt?«
Unter dem Angriff ihrer Magie bebte er. Sie drohte sein magisches Netz zu überlasten. Sein Gesicht war leichenblass, und er zitterte am ganzen Leib. Er schien nicht in der Lage, ihr zu antworten.
»Hast du hier eine Wohnung?«, fuhr Babel ihn an.
Er nickte schwach.
»Okay, dann reden wir dort weiter.«
»Babel«, warnte Sam, aber sie schüttelte den Kopf. Sie wollte sich Nikolais Wohnung ansehen, auch wenn es sein Territorium war. Sie zog ihn vorwärts, ließ aber seinen Arm nicht los. Auf wackligen Beinen führte er sie zu dem Hauseingang, an dem Mikhail geklingelt hatte.
Als er in seine Hosentasche greifen wollte, grollte Sam: »Vorsicht, Junge«, und es dauerte einen Moment, bis Nikolai einen Schlüssel herauszog, so sehr zitterten seine Hände. Offenbar hatte Nikolai vor Sam sogar noch mehr Angst als vor Babel.
Die Wohnung lag im zweiten Stock. An der Tür war kein Namensschild angebracht. Die Wohnung selbst war klein und kaum eingerichtet. Es gab lediglich ein altes Sofa und einen Tisch im Wohnzimmer, dazu haufenweise Kisten mit Büchern und Zutaten für Rituale. Auf dem Fußboden zeigten sich schwache Spuren von Ritualen, die mit Farbe ausgeführt worden waren. Soweit Babel es überschauen konnte, handelte es sich vor allem um Übertragungs- und Stärkungszauber. In der Luft hing der schwache Geruch nach Terpentin.
Das hier war nicht Nikolais Wohnung. Es war sein Unterschlupf. Der Treffpunkt, an dem er sich ungestört mit seinem Bruder treffen konnte, ohne dass seine Familie etwas davon merkte, denn offiziell wohnte er bei Clarissa, solange er in der Stadt war.
»Weiß deine Großmutter von alldem?« Babel erfasste mit einer Geste den Raum.
Zu dritt standen sie in dem kargen Wohnzimmer. Sam blockierte die Tür zum Flur, während Babel den magischen Spuren nachging. Noch immer zitternd schleppte sich Nikolai zum Sofa und ließ sich darauf fallen. Wie eine Marionette, der man die Schnüre durchgeschnitten hatte, sank er in sich zusammen.
Seine Stimme klang flach und leise, als er endlich antwortete. »Nein. Großmutter weiß nicht mal, dass Mikhail in der Stadt ist.«
Babel stellte sich ihm gegenüber an die
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