Babel 1 - Hexenwut
Der Anblick dieser Totenenergien hatte sich in ihr Gehirn gebrannt. Mehr als einmal war sie kurz davor, aus dem Wagen zu springen, um in das Gebäude zu rennen und sich ihn vorzunehmen.
Erstaunlicherweise war es Sam, der einen kühlen Kopf bewahrte und ihr ein paarmal beruhigend die Hand auf die Schulter legte. Es sah ganz danach aus, als hätte er in den letzten Jahren doch etwas dazugelernt.
Während sie gegenüber dem Gebäude warteten, tätigte Babel
mehrere Anrufe. Zuerst rief sie Karl an, danach Tamy. Beide bat sie, sich bereitzuhalten, falls sie Hilfe benötigte. Karl war kaum davon abzuhalten, zur Zeitung zu fahren, bis sie ihm versicherte, dass sie nicht allein war und Unterstützung hatte. Tamy hingegen brummte nur »Okay« und legte auf.
Danach meldete sie sich bei Tom, der allein auf dem Platz der Wagenburg zurückgeblieben war. Die Plags waren aufgebrochen.
»Du musst sie anrufen, Tom. Sag ihnen, sie können vielleicht bald zurückkommen.«
»Was?«
»Wir haben ihn.«
Für einen Moment war er sprachlos, dann platzte er heraus: »Wo? Wer ist es?«
Sie zögerte. »Hör zu, ich werde mich um ihn kümmern ...«
»Babel, sag mir, wer es ist!«
»Damit du herkommst und ihn kaltstellst?«
Sie hörte, wie er am anderen Ende tief durchatmete. »Ich werde nichts Dummes anstellen, okay? Wir schnappen ihn zusammen. Ist es dieser Journalist? Wir haben ein Recht darauf, es zu wissen!«
»Tut mir leid, Tom, ich kann's dir jetzt nicht sagen, das ist zu deinem eigenen Besten, glaub mir.«
»Verdammt, Babel, das kannst du nicht...«
»Ich melde mich, wenn die Sache vorbei ist.« Sie unterbrach das Gespräch und schaltete das Handy ab, dann starrte sie unglücklich darauf.
»Das war nicht gerade die feine englische Art«, sagte Sam.
»Tom wird das verstehen.«
»Sicher?«
Sie schaute ihn nicht an. Er konnte zu gut in ihrem Gesicht lesen, ihre Unsicherheit und Halbwahrheiten darin erkennen.
Sie wollte Tom nicht in Gefahr sehen, denn sie wusste, er würde sich auf den Mörder stürzen, sobald er wusste, wer es war. Aber sie wollte auch nicht, dass er ihr die Chance vermasselte, die andere Hexe ausfindig zu machen, die hinter ihrer aller Rücken operierte. In Babels Stadt.
Sie glaubte nicht, dass Tom das verstehen würde.
So hältst du also deine Versprechen?
Ich erweitere sie, das ist keine Schande.
Nein, nur selbstsüchtig.
Sie seufzte. Sie konnte nur darauf hoffen, dass sich Tom wieder beruhigen würde.
Es dauerte noch vier weitere Stunden, bis Neumann endlich erneut das Gebäude verließ und in sein Auto stieg. So vorsichtig wie möglich folgten sie ihm ins Stadtzentrum, wo er in einer Hauptstraße hielt, in der viele Ladengeschäfte platziert waren. Am späten Nachmittag wimmelte es auf den Gehwegen von Passanten. Sie erschwerten einen möglichen Zugriff auf Neumann.
Sie hatten Glück und fanden eine Parklücke, von der sie eine gute Aussicht auf den Mann hatten, als er ausstieg und zielsicher auf ein Haus zusteuerte. Er klingelte, aber es öffnete niemand. Sie konnten sehen, wie er ein Handy aus der Tasche holte und wütend hineinsprach. Dabei gestikulierte er wild. Zum ersten Mal verlor sich der durchschnittliche Ausdruck in seinem Gesicht, und hinter der Maske war für einen kurzen Moment etwas Dunkles zu sehen - eine verzehrende Wut. Unruhig ging er vor dem Haus auf und ab und bedachte dabei die vorübereilenden Leute mit finsteren Blicken.
Während sie ihn beobachteten, konzentrierte sich Babel auf ihre Magie und fuhr sie bis zum Anschlag auf, bis sich die Spitzen ihrer Haare wie elektrisch aufgeladen in die Luft erhoben. Minuten später tauchte endlich ein weiterer Wagen auf, der in die Einfahrt fuhr und dort stehen blieb. Vor Aufregung raste Babels Herz.
Als sie jedoch sah, wer dem Wagen entstieg, hielt sie die Luft an.
Den hochgewachsenen Körper, Haarfarbe und Gesichtsform, all das kannte sie, und sie wusste sofort, wen sie vor sich hatte.
Nikolai.
Clarissas Enkel, der sie um Hilfe gebeten hatte.
... eine tragische Geschichte ...
Auf einmal fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Friedrich Neumann war nicht, wer er vorgab zu sein. In Wirklichkeit hieß er Mikhail und war Nikolais magisch passiver Bruder, der nie die Wege der Hexen gehen würde, weil seine magischen Anlagen nicht funktionierten - und der irgendwann zum Mörder geworden war.
Der Junge hat dich reingelegt.
Sie sah Nikolais Gesicht vor sich, als er in dem Café vor ihr gesessen hatte und ihr dort die Eifrigkeit
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