Babel Gesamtausgabe - Band 1-3
Hosentaschen. »Du kommst nicht mit?«
»Zu den Plags, die Hexen nicht leiden können? Zu einem Tom, den ich nicht kenne und der sich nicht mal die Mühe macht, selbst vorbeizukommen? Passe.«
»Mhm.« Er sah sie noch einen Augenblick an, dann drehte er sich um und verließ ohne Abschied und ebenso überraschend, wie er aufgetaucht war, das Büro.
Irritiert hob Karl die Hände. »Was zum Henker war das?«
»Ganz ehrlich, ich hab nicht die geringste Ahnung. Eine Mutprobe? So nach dem Motto: Wer traut sich, der Hexe einen Besuch abzustatten? Was weiß ich, die Jugend von heute eben.«
»Also zu meiner Zeit gab’s so was nicht.«
»Selbstverständlich nicht.«
Karl stand auf und trat ans Fenster, um seinen Zigarillostummel in den Vorgarten zu schnippen, wo er wie seine zahllosen Vorgänger zweifellos verrotten und der Dame aus dem Erdgeschoss Anlass sein würde, Karl einen Vortrag über gesunde Lebensweise zu halten.
Einen Moment stand er regungslos am Fenster, dann stemmte er die Arme in die Hüfte. »Äh, Babel …«
»Ja?« Ihr Interesse galt inzwischen der Frage, warum kalter Kaffee immer aussah wie Schmieröl.
»Der Plag klaut dein Motorrad.«
»Was?«
»Der Plag klaut dein Motorrad.«
Sie sprang auf und zum Fenster und verschüttete dabei den Kaffee über den Boden und ihre Hose. Fluchend beugte sie sich aus dem Fenster.
In der Tat saß der Kerl schon auf ihrer Maschine und winkte mit einem breiten Grinsen zu ihnen herauf, bevor er Gas gab und davonfuhr.
»So ein kleiner Mistkerl! Der kann was erleben.« Wütend drehte sie sich um und stapfte hinüber zu dem blauen Regal, in dem sie Utensilien aufbewahrte, die sie für die Arbeit brauchte. Vom obersten Brett nahm sie die Dose mit der Holzasche und setzte sich damit einen Meter neben die Stelle, an der der Plag noch kurz zuvor gestanden hatte. Schnappend sprang der Verschluss auf, und sofort erfüllte der Geruch nach verbranntem Holz ihre Nase.
Langsam pustete Babel eine Handvoll Asche von ihrer Handfläche in die Luft. Dann konzentrierte sie sich auf den Energiefluss in ihrem Körper und visualisierte den schwachen Schein, der ihre Hände umgab. Als ihr Blick erst einmal das blasse Hellblau erfasst hatte, war es ein Leichtes, auch die anderen Energien im Raum sichtbar zu machen, die die Asche bunt färbte.
Karl verströmte wie immer sein kräftiges Rot, das einen weiteren Klecks um Dollys Bild auf dem Schrein bildete. Wahrscheinlich berührte er das Bild mehrmals am Tag … nun ja.
Ihr Blick wanderte durch den Raum und sortierte die wirbelnden Farben Pflanzen und Gegenständen zu. An der Stelle, an der der Plag gestanden hatte, hing noch eine schwache orangefarbene Wolke in der Luft, die eine menschenähnliche Form besaß. Ein Energiegolem.
»Hab dich«, flüsterte sie und bildete einen dünnen blauen Faden, der sich von der Spitze ihres rechten Mittelfingers auf die Wolke zubewegte und dort zu einem lilafarbenen, verzwirbelten Aschestrang wurde, der über den Fußboden hinaus zur Tür lief. Sie übertrug den Faden von ihrem Finger auf den Ring, der den Faden eine Weile mit Energie füttern würde, damit sie sich nicht mehr auf das Ritual konzentrieren musste, sondern nur der Spur zu folgen brauchte. Entschlossen stand sie auf und klopfte sich die Hände ab.
»Okay, ich hab ihn. Der kann sich schon mal warm anziehen.«
Karl grinste und deutete auf seine Autoschlüssel, die auf dem Schreibtisch lagen und deren Anhänger, wie könnte es anders sein, ein Dolly-Parton-Bild zierte. Dann nahm er wieder Platz und nuckelte friedlich an seinem Tequila, als käme es jeden Tag vor, dass ein Plag in ihr Büro spazierte und Babels MZ klaute. Die Sache schien ihn nicht besonders aufzuregen.
Entschlossen, den Dieb zu stellen, holte sie ihre Jacke, was Xotl dazu veranlasste, erneut zu kreischen: »Dämooon!«
»Ja, ja, später! Jetzt muss ich mich erst mal um diesen kleinen Punk kümmern. Dem versohl ich den …«
»Babel.«
»Mhm?«
»Pass auf dich auf!« Nachdrücklich sah Karl sie an, aber sie winkte nur ab, während sie schon durch die Tür verschwand, und rief: »Wie immer.«
Im Treppenhaus hörte sie noch sein gebrummeltes »Eben«, während sie die Stufen hinuntersprang und vor lauter Wut mit den Zähnen knirschte. So weit kam es noch, dass sie sich von einem Plag vorführen ließ. Wenn sie ihn hatte, würde sie ihm einen solchen Schmerz in den Hintern hexen, dass er eine Woche lang nicht sitzen konnte!
3
Die Aschespur führte sie am Bahnhof
Weitere Kostenlose Bücher