Babkin, unser Väterchen
Gesicht. »Alle, mit denen ich vernünftig sprechen will, wollen plötzlich sterben oder umgebracht werden. Warum bloß? Was ist denn passiert? Ein Arzt hat sich geirrt, und alle, die den angeblich Toten im Leben belogen und betrogen haben und das nun beichteten, geraten in Panik. Über alles kann man reden, auch über das! Bin ich unbescheiden, wenn ich als Entschädigung ein Spritzchen verlange?«
»Keine solche Spritze, Babkin!«
»Seien wir großzügig.« Babkin winkte lässig ab. »Entsprechende Tabletten oder Kapseln tun es auch. Oder Tropfen … Was gibt es da Gutes, Bairam Julianowitsch?«
»Medikamente, die euphorisch machen.«
»Was ist das?«
»Man wird fröhlich, überdreht fröhlich … verrückt fröhlich.«
»Nichts für Nina Romanowna. O Gott, bloß das nicht. Das Gegenteil, Dr. Poscharskij muß es sein. Wie hirnlos muß sie dasitzen – nur so bekomme ich sie in die Anstalt von Tobolsk.«
»Meine Ehre verlangt Opfer … recht haben Sie wie immer«, sagte Bairam Julianowitsch und stemmte sich aus dem Sessel hoch. Noch einmal schluchzte er in sich hinein, was sehr dramatisch aussah, aber Babkin in keiner Weise beeindruckte, dann ging er zu einem Schrank, schloß ihn mit einem Schlüssel auf, den er wohl verwahrt in der linken Hosentasche trug, und öffnete ihn.
Ein paar Fächer voller Medikamentenpackungen wurden sichtbar – der Giftschrank, wie man so sagt. Babkin starrte die Packungen an und benetzte sich dann mit der Zunge die Lippen.
»Alles gefährliche Medikamente?«
»Was hier liegt, reicht aus, um ganz Ulorjansk zu vergiften. Das heißt, zu betäuben.«
»Ungeheuer, Bairam Julianowitsch. Und was werden Sie mir für meine Nina Romanowna geben? Sie soll nicht betäubt werden, sondern für eine gewisse Zeit verblöden.«
»Ich gebe Ihnen ein Sedativum mit …«
»Genosse, sprechen Sie russisch! Mir genügt mein kluger Schwiegersohn mit seinem lateinischen Gerede.«
»Nach diesen Tropfen wird Nina Romanowna ganz ruhig werden …«
»Wie schön!«
»Willenlos wird sie werden; das Mittel dämpft die sensorischen, vegetativen und besonders die motorischen Zentren im Gehirn.«
»Lassen Sie mich die Packung küssen, Bairam Julianowitsch. Genau das ist's, was ich brauche. Nina Romanowna wird ganz still sein?«
»Es kommt auf die Dosierung an.«
»Die doppelte Menge werde ich ihr geben … nein, die dreifache!«
Mit zitternder Hand reichte Dr. Poscharskij das Medikament zu Babkin hinüber, der es schnell in seine Tasche steckte. Dann schloß Bairam Julianowitsch den Schrank wieder ab, sank in den Sessel zurück und faltete die Hände.
»Gott, verzeih mir«, stammelte er. »Sieh es an: Ich wurde gezwungen. Babkin, gehen Sie jetzt, gehen Sie ganz schnell. Wenn ich Sie noch länger ansehen muß, versagt wirklich mein Herz.«
Babkin hielt es für klug, nichts mehr zu erwidern, und verließ das Haus in großer Zufriedenheit, ja, Fröhlichkeit. Auf der stillen Straße blieb er stehen, blickte an den Häuserwänden empor und erkannte ein paar Gesichter, die ihn hinter verhängten Fenstern anstarrten. Die ein wenig zur Seite gerafften Vorhänge verrieten die Gaffer.
Babkin schwang seinen Gehstock mit der schweren silbernen Krücke ein paarmal durch die Luft und machte sich dann auf den Weg, um weiter mit seiner Vergangenheit aufzuräumen.
Wer jetzt, dachte er. Wer fehlt noch? Bobo Alexandrowitsch Panin, der schwule Milizionär? Babkin, was soll's? Das ist Pyljows Problem, und seine Angst, daß alles bekannt wird, ist seine größte Strafe.
Jakow Petrowitsch Sapanow, der Briefträger mit dem Froschgesicht? Nun ja, er bringt nicht nur Briefe ins Haus, er öffnet auch seine Hose bei Nelli, meinem Töchterchen, und gelegentlich bei Nina, meinem Weibchen. Ohrfeigen könnte man ihn dafür, aber andererseits ist er bei Nina nicht der Einzige und Nelli ein strammes Weibchen mit einem Mann – na, wir wissen ja, was mit Pyljow los ist. Kann man's Nelli verübeln? Aber warum gerade Sapanow, der häßlichste Mann von Ulorjansk? Einige Fragen werden immer offen bleiben …
Gehen wir noch einmal zu Waninow, dem Popen, beschloß Babkin. Der heimliche Vater meines Enkels – warum gibt es keinen Blitz, der ihn spaltet? Verführt meine zarte Walentinaschka am Flußufer und predigt am Sonntag wider die Sünde. Ihn kann man nicht heftig genug am Bart zerren …
Langsam wanderte Babkin durch die Stadt, blieb vor der Kirche stehen und stützte sich auf seinen wertvollen Stock.
Waninow, der Wadim
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