Baby-Bingo
Zwillings-Anouschka, die sich von meiner Zurückhaltung ihr gegenüber offensichtlich nicht irritieren lässt.
»Wir hatten es eigentlich schon aufgegeben, bis uns eine Freundin Doktor Faber empfohlen hat. Dann hat es ratzfatz geklappt, wie man sieht.«
Anouschka strahlt eine so positive Überzeugung aus, dass ich augenblicklich davon angesteckt werde und meine Hormone, die gerade noch traurig vor sich hindümpelten, wieder Salsa tanzen.
Jeder hat hier anscheinend irgendwelche Geheimtipps auf Lager. Gibt es denn überhaupt noch jemanden, der sein Baby ohne Hilfe von Akupunkteuren oder Kinderwunschärzten auf die Welt gebracht hat? Der Tipp von Anouschka hört sich gut an. Gleich morgen werde ich diesen Doktor Faber anrufen und einen Termin vereinbaren. Martin lächelt mich an, und irgendwie habe ich das Gefühl, da blitzt ein kleines bisschen Stolz in seinen Augen auf, dass wir durch seinen persönlichen und selbstlosen Giselle-Kontakt diesen Geheimtipp bekommen haben.
Das Sprechzimmer ist voll mit Frauen, die unkonzentriert in der Gala , Bunte und ELLE blättern. Dazu Paare, die sich immer wieder zulächeln, so als würden sie sich gegenseitig Mut machen wollen. Wir setzen uns auf die beiden letzten freien Plätze. Martin ist das Ganze sichtlich unangenehm. Wie den anderen Männern auch. Betreten blicken sie auf den Boden, tippen in ihre Smartphones und schauen immer wieder verstohlen auf die Uhr. Sie scheinen sich ungefähr so wohlzufühlen wie die Männer, die von ihren Frauen am Samstag in die Dessous-Abteilung bei H & M geschleppt werden. Wir nützen die Wartezeit, um unzählige Formulare mit merkwürdigen Fragen auszufüllen:
Wie lange befinden Sie sich schon in einer festen Beziehung?
Wie oft in der Woche haben Sie Geschlechtsverkehr?
Haben Sie einen regelmäßigen Tagesablauf?
Fragebögen für die Einreise in ein kommunistisches Land sind harmlos dagegen.
Doktor Faber, ein kleiner dunkelhaariger Mann um die 50, begrüßt uns und bittet uns, ihm gegenüber am Schreibtisch Platz zu nehmen.
»Was kann ich für Sie tun?« Er sieht uns kurz an.
Wir möchten gern bei Ihnen eine Karibikrundreise bu chen. Was sonst. Was ist das denn für eine Frage? Ich denke, wir sind im angesagtesten Kinderwunschzentrum Deutschlands. Bevor ich antworten kann, ergreift Martin das Wort: »Wir wünschen uns ein Kind, und Sie wurden uns empfohlen.«
Das Telefon klingelt, Doktor Faber geht ran.
»Sagen Sie ihr, ich rufe gleich zurück. Die Hormonwerte sind katastrophal. So wird das nichts. Bis morgen soll sie zweimal täglich Progesteron vaginal nehmen.«
Doktor Faber legt auf und wirft einen flüchtigen Blick auf unsere ausgefüllten Fragebögen.
»Sie wissen schon, dass die Chance, in Ihrem Alter schwanger zu werden, bei weniger als 15 Prozent liegt. Tendenz weiter sinkend«, knurrt er in meine Richtung.
Toller Einstieg. Ich schlucke erst mal und versuche dann, mich zu rechtfertigen.
»Mein letzter Arzt war sehr zufrieden mit meinen Werten, und mein Mann hat ein exzellentes Spermiogramm.«
Stolz zähle ich unsere Vorzüge auf und komme mir dabei vor wie die Verkäuferin im Autohaus, die ein Auslaufmodell loswerden möchte.
»Das ändert nichts daran, dass die Qualität der Eizellen bei einer Frau ab Mitte 30 rapide abnimmt. Leider kann auch ich bei Ihnen die biologische Uhr nicht zurückdrehen. In Ihrem Alter noch schwanger zu werden, ist wie ein Sechser im Lotto oder der Haupttreffer beim Bingo.«
Na, das hört sich ja sehr motivierend an! Die Wahrscheinlichkeit, noch ein Kind zu bekommen, ist also ein einziges Glücksspiel. Baby-Bingo – das richtige Kreuz auf dem richtigen Feld – eins, zwei, meins.
Nun klingelt Doktor Fabers Handy. Wieder geht er ran. »Ich komme sofort«, sagt er, »bereiten Sie schon mal alles für die Lokalanästhesie vor.«
Ich merke, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildet. Mir war von Anfang an klar, dass ich mit Ende 30 nicht mehr zu der Gruppe der Frühgebärenden zähle. Aber dass es mit 38 Jahren so gut wie aussichtslos ist, überhaupt noch schwanger zu werden, war mir bisher nicht bewusst.
Doktor Faber steht auf und schaut uns an. »Also, ich schlage vor, ich untersuche jetzt kurz Ihre Frau, und dann sehen wir weiter. Herr Cornetti, gehen Sie doch bitte schon mal zur Blutabnahme.« Er schüttelt Martins Hand und schiebt mich hinter einen Paravent.
»Moretti. Ich heiße Moretti.«
Das ist das Letzte, was ich von Martin höre. Dann sind Doktor Faber und ich allein.
»Bitte
Weitere Kostenlose Bücher