Baby-Bingo
Jahren toppt sie bei Weitem all die Praktikantinnen-Lolitas, von denen ich hier im Verlag täglich umzingelt bin. Wenn man von einer Frau sagt, sie sei »im besten Alter«, ist das üblicher weise nicht wirklich charmant gemeint. Im Grunde bedeutet es, dass diese Frau bereits über dem gewissen Punkt ist. Carla dagegen ist wirklich im besten Alter. Sie versprüht diese spezielle Mischung aus Sinnlichkeit und Gelassenheit, für die man nun mal einige Jährchen Lebenserfahrung braucht. Wie Lauren Hutton im legendären Film Ein Mann für gewisse Stunden mit Richard Gere. Sie war die Traumfrau meiner Jugend. Und die meiner Freunde ebenfalls. Wir schwindelten uns als Teenies mit 13 Jahren mehrmals ins Kino in diesen Film, der erst ab 16 Jahren freigegeben war. Lauren Hutton mag, als Ein Mann für gewisse Stunden in die Kinos kam, in Carlas Alter gewesen sein. Schon damals spürten wir, dass von Frauen in diesem Alter ein ganz besonderer Zauber ausgeht.
Ich konnte früher nie verstehen, warum so viele Männer ihre attraktiven Frauen betrügen, welchen Kick sie sich in Affären mit jüngerem und oft auch stilloserem Ersatz holen. Heute weiß ich, dass Schönheit sich abnützt, wenn man täglich damit konfrontiert wird. Man kann neben dem schönsten Bauwerk der Welt wohnen, wie zum Beispiel dem Dom in Florenz. Aber im Laufe der Zeit wird man über die Einzigartigkeit nicht mehr staunen, sondern sich irgendwann darüber aufregen, dass der Dom einen Schatten aufs Haus wirft.
Es tut mir leid, wenn ich Carla das Gefühl gebe, dass ich sie weniger als früher begehre. Das ist grundsätzlich nicht der Fall. Aber ihre Fixierung auf das Babythema wird zunehmend extremer. Um nicht zu sagen: manisch. Ihr Hauptmotiv für Sex ist nicht mehr Lust, sondern exakt getimte Zweckerfüllung. Und das ist für Männer alles andere als anregend. Sex à point , das erinnert uns in unangenehmer Weise ans Tierreich: Das Männchen wird nur mal kurzzeitig als Begatter gebraucht. Dann wird es davongejagt. Und kann sich freuen, wenn es nicht sogar umgehend aufgefressen wird, wie das einige Spinnenarten gerne mal zu tun pflegen.
Zugegeben, es ist mit Abstand betrachtet ein Luxusproblem, dass ich mit Carla nur noch kalenderorientierten Körperkontakt habe. Aber unser Liebesleben hat sich verändert. Es war mal außergewöhnlich intensiv und exzessiv. Jetzt gibt es eine zyklusbedingte Hauptsaison. Und eine lange, monatliche Nebensaison, die an Ruhe und Überschaubarkeit kaum zu übertreffen ist.
Es geht so weit, dass mich Carla sogar an einem Tag außerhalb des Erfolg versprechenden Zeitfensters ermahnte, ich solle »mein Material nicht unnötig vergeuden«. Ja, solche Diskussion führen wir inzwischen. Aber was soll’s, wenn unser Zweck-Sex denn bald zum Erfolg führt.
Andere Paare nehmen noch extremere Kosten und Mühen auf sich: wie ein Freund von mir. Seine Frau und er versuchten ein Kind zu bekommen. Das Problem dabei: Sie arbeitete zu dieser Zeit in Hamburg, er lebt in München. »Sicher zehn Mal bin ich kurzfristig am Abend nach Hamburg geflogen, wenn es gerade mal wieder so weit war. Und am Morgen mit der ersten Maschine wieder zurück«, berichtete er. »Du kannst dir vorstellen, was ein Ticket kostet, das man zwei Stunden vorher bucht.«
Zumindest bei den beiden hat sich die Investition gelohnt. Inzwischen hat er eine Tochter, die gerade ihren zweiten Geburtstag feierte.
»Herr Moretti«, ruft Herr Raske, als ich von der Tiefgarage die Treppen nach oben sprinte und dabei den Eingang des Verlagshauses passieren muss, an dem er in seiner Pforte thront. »Sie hatten wohl zu Hause etwas vergessen.«
»Was … wie meinen Sie das?«, frage ich erstaunt.
»Na, weil doch Ihre Frau hier war.«
Ich spüre, wie mein von der heißen Autonummer mit Carla erhitzter Kopf noch röter wird. »Woher wissen Sie das?«
»Ich hab sie schon ein paar Mal mit Ihnen gesehen und gleich wiedererkannt. Sie fährt doch ein schwarzes Minicabrio.«
»Sie haben meine Frau von hier aus gesehen? Das geht doch gar nicht. Die Tiefgarageneinfahrt ist hinter dem Gebäude.«
Herr Raske lacht schallend. Er ist einer dieser Typen, denen absolut nichts entgeht und die sich in der Rolle der Allwissenden sichtlich gefallen.
»Bis vor zwei Wochen wäre das auch nicht gegangen«, sagt er. »Aber jetzt haben wir Überwachungskameras eingebaut. Es wurden nämlich in diesem Jahr bereits viermal Autos aufgebrochen – tagsüber. Wie dreist, oder? Da mussten wir was dagegen
Weitere Kostenlose Bücher