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Baby-Bingo

Baby-Bingo

Titel: Baby-Bingo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carla und Martin Moretti
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karierte Bettwäsche und Tassen mit grünen Hirschen drauf. Aber der örtliche Humor, der eher mit der Axt als mit dem Tranchiermesser arbeitet, ist nicht so ihr Ding.
    Heute jedoch ist Carla völlig verzückt. Denn Walter trägt auf seinen Armen ein kleines Stoffbündel, aus dem eindeutig ein Minikopf mit flaumigen Haaren ragt. Ein lustiger Anblick. Der riesige Walter mit diesem winzigen Wesen. Wie ein Bagger mit einem Küken in der Schaufel.
    »Es kennt mo gratuliern. Des isch inso Robin«, sagt Walter stolz.
    »Wie-süß-oh-Gott-wie-niedlich«, schwärmt Carla. Sie hat diesen reflexartigen, sanftmütigen Madonnenblick, der sich bei ihr sofort einstellt, wenn sie kleine Kinder, kleine Hunde oder Eichhörnchen sieht. Schon dieser Blick ist es wert, dass sie ganz bald Mutter wird.
    »Der kleine Robin, ach wie goldig, wie lieb, der ist ja noch keinen Monat alt, oder?«, fragt sie Walter.
    »Drei Woch’n«, sagt Walter und strahlt übers ganze Gesicht.
    »Ein Nachzügler, oder? Du hast doch schon zwei Töchter«, erinnere ich mich.
    Walter muss so sehr lachen, dass ihm Robin fast aus dem Arm gleitet.
    »Wos, du denksch, des isch meindo!«, amüsiert er sich.
    Ich weiß nicht, was daran so lustig sein soll. Und auch Carla guckt etwas verwirrt.
    »Martin, des isch mei Enklkind. I bin Opa gwordn, wos sogschn dozua? Die Magdalena hot für sel gsorgt.«
    Ich sage erst mal gar nichts, denn mir bleibt die Luft weg. Walter war mit mir in einer Klasse. Das heißt, er ist auch so alt wie ich. Und er wurde vor drei Wochen Opa. Opa! Nach dem ersten Schock merke ich jedoch, dass rein rechnerisch Walters Großvaterfreuden gar nicht so außergewöhnlich sind. Die Mutter des Babys, seine Tochter Magdalena, ist wohl mindestens 20 Jahre alt. Es ist also keine Teenie-Schwangerschaft in der Familie nötig, um Männer unseres Alters zum Großvater zu machen.
    Nur mit Mühe können wir uns nach einer halben Stunde vom stolzesten Opa Südtirols loseisen, nachdem Carla das Bündel auch mal in die Arme nehmen durfte.
    Den restlichen Weg bis zum Haus meiner Eltern gehen Carla und ich schweigend nebeneinander her. Ohne es auszusprechen, denken wir wohl beide dasselbe: Warum lachte Walter wie ein bekokster Braunbär bei dem Gedanken, dass er nochmals Vater geworden sein könnte? Heißt das: Wir beide sind bereits zu alt, um noch Eltern zu werden? Haben wir den richtigen Zeitpunkt verpasst? Wirke ich lächerlich, wenn ich demnächst mit fast 50 Jahren einem kleinen Steppke auf dem Spielplatz hinterherlaufe – immer in akuter Gefahr, mir einen Bandscheibenvorfall zu holen, wenn ich das Kind aufs Klettergerüst hieve?
    Mein Vater war 28, als ich zur Welt kam. Ich hatte aber nie das Gefühl, einen besonders jungen Vater zu haben. Ich wäre bei der Geburt unseres Wunschkindes knapp 20 Jahre älter als er.
    In den USA gibt es für die späten Väter im Opa-Alter sogar einen eigenen Begriff: »Sods«. Das bedeutet »Start-Over-Dads« – also Männer, die bereits Väter von erwachsenen Kindern sind, aber ihre Vaterqualitäten nochmals mit Abstand beweisen möchten. Für die neue Vaterschaft wählen sie aber eine wesentlich jüngere Frau.
    Das habe ich nicht vor. Trotzdem vermag ich in diesem Moment Carla keinen echten Trost zu bieten. Es ist so, wie es ist. Wir sind nicht mehr ganz jung. Aber um Großeltern zu werden, müssen wir erst Eltern werden, daran führt kein Weg vorbei. Opa kann ich dann noch früh genug werden, das eilt nicht.
    Wir wussten vor dem Ausflug nach Südtirol, dass der Tag der Tage genau auf dieses Wochenende fallen könnte. Wir wussten aber nicht, wie schwer es sein kann, im ehemaligen Kinderzimmer mitten am Tag für den Fortbestand der Familie zu sorgen, während im ganzen Haus noch der Mittagsessensduft von Schlutzkrapfen mit Sauerkraut in der Luft liegt, unten die Eltern mit ihren zwanzig besten Freunden sitzen und hörbar Spaß haben. Klar, sie plagt ja auch mindestens eine Sorge weniger als uns, weil sie beizeiten für Nachkommen gesorgt haben.
    Meine Eltern ließen mein Zimmer nahezu unberührt. Es wirkt wie ein Martin-Museum. An der Wand hängt noch die für meine Jugendzeit typische Mischung aus Hoch- und Popkultur: ein Kunstdruck von Matisse neben einem Poster von Boney M. In der Ecke stehen alte Tennis- und Squash-Schläger und im Regal Pokale von gewonnenen Skirennen, die meine Mutter beharrlich vom Staub der Geschichte befreit. Sogar die Deckenlampe ist noch dieselbe wie damals. Ein silberner Rundstrahler, der wie ein

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